Die Welt, 14.12.2000

Die Last der Macht

Der neue Präsident muss auch die Kraft zur Kontinuität aufbringen

Von Michael Stürmer

Es bedurfte nicht der langen Schmerzen dieser Präsidentengeburt um vorauszusagen, dass Amerikas Führungsaufgabe sich nicht von allein macht. Die Lust, der Welt einzige Supermacht zu sein, ist verbunden mit der Last der Einsamkeit.
Es war der Historiker und Kennedy-Berater Arthur Schlesinger, der lange schon den Niedergang der "Imperialen Präsidentschaft" diagnostizierte, die mit Rooevelts "New Deal" begann und mit dem Zweiten Weltkrieg und dem nachfolgenden Kalten Krieg ihren Höhepunkt erreichte. Seit Nixon ist die senatorische Macht aufgestiegen. Clinton bekam sie in der langen Ära des "divided government" schmerzhaft zu spüren, als der demokratische Präsident der republikanischen Mehrheit im Senat gegenüberstand. Das galt nicht nur in der politischen Überlebensfrage des Impeachment-Verfahrens, das Clinton überstand. Es galt auch in einer Architekturfrage der Weltpolitik, als die Senatsmehrheit, um an Clinton Rache zu nehmen, die Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot aller Nukleartests (CTBT) verweigerte .
George W. Bush wird aus dem Wahlkampf nach der Wahl eine belastete Präsidentschaft gewinnen. Wenn er klug ist, wird er in seine Administration, wie Clinton es mit Congressman William Cohen tat, als er ihn zum Chef des Pentagon ernannte, demokratische Fachleute, vielleicht prominente Politiker kooptieren. Er braucht, bei allem Wandel, auch viel Kontinuität. Der um mehr als einen Monat verzögerte Übergang macht das noch dringlicher.
Niemand in Amerika und unter Amerikas Alliierten und Freunden kann Interesse haben an einer schwachen Präsidentschaft. Die einzige und einsame Supermacht trägt, wie der sagenhafte Atlas, die Last der Welt und mit ihr alle Balancen, die sonst in blutige Konflikte eskalieren würden. Mehr noch, die fragile Architektur der strategischen Rüstungskontrolle erfordert nicht nur präsidentielle Führung, sondern auch innenpolitische Durchsetzung.
Russland unter Putin ist in Europa ein formidabler Gegenspieler, weit über dem Niveau der heruntergekommenen ehemaligen Supermacht, und bemüht sich um Europa, namentlich ein Sonderverhältnis zu Berlin, gegründet auf strategische Nachbarschaft, geschichtliche Sentiments und Energie. National Missile Defence, Lieblingskind der Republikaner, wird die NATO belasten, und so auch die künftige NATO-Erweiterung. Der Präsident wird Außenwelt und Innenwelt zu vermitteln haben.Das kann er nur aus einer Posdition der Stärke.
In Fernost bedarf das Verhältnis zum Reich der Mitte nicht nur der festen Hand, sondern auch der subtilen Diplomatie: Chinas Weg in die Welthandelsorganisation ist noch lange nicht gesichert, nicht im Kongress und nicht in der chinesischen Politik. Verunglückt das Verfahren, dann werden die weltpolitischen Folgen überall zu spüren sein. Durch Ostasien würde ein Frösteln gehen, und es wäre noch in Europa spürbar.
Noch mehr gilt das für den Mittleren Osten, wo Amerika durch die Fünfte Flotte am Golf und die Sechste Flotte im Mittelmeer die Wacht hält für Öl, Stabilität und Frieden. Aber im israelisch-arabischen Konflikt tritt Washington in drei Rollen auf: als Moderator, Schutzmacht der ölreichen konservativen arabischen Regime und als Garantiemacht des Staates Israel und seiner überlegenen Rüstung. Diese Rolle war schon zu Zeiten, als es den Friedensprozess noch gab, eine Überforderung, und selbst Clinton ist, obwohl er mehr Engagement und Expertise investierte als für alles andere, daran gescheitert. Bush muss, weil alles auf dem Spiel steht, eingeschlossen der Weltfrieden, kraftvoll verhandeln und dann Senatoren und Europäer für die Lösung gewinnen, die kostspielig sein wird.
Hundert Tage bekommt man nur in der Innenpolitik geschenkt. Die Weltpolitik ist unerbittlich, und für die schwierige Geburt dieser Präsidentschaft gibt es kein Pardon, nicht von Freunden und schon gar nicht von Feinden.