Frankfurter Rundschau, 13.12.2000

"Rufe nach Zivilcourage sind nicht genug"

Auf Initiative der südafrikanischen Botschaft äußern sich afrikanische Botschaften zur "Renaissance des Rechtsextremismus in Deutschland"

Auf Initiative der südafrikanischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland legen afrikanische Botschaften aus allen Teilen des Kontinents eine untereinander abgestimmte Stellungnahme zur "rechten Renaissance in Deutschland" vor. Wir dokumentieren diese erste Erklärung aus afrikanischer Sicht leicht gekürzt.

"Alle Menschen werden frei geboren, gleich in ihrer Würde und ihren Rechten. Dieses für die ganze Welt verkündete Prinzip ist überall dort gefährdet, wo politische, ökonomische, soziale und kulturelle Ungleichheit die Beziehungen von Menschengruppen untereinander beeinträchtigt. Ein besonders auffälliges Hindernis für die Anerkennung von gleicher Würde für alle ist der Rassismus. Rassismus geht nach wie vor in der Welt um." (UNESCO 1967)

"Mit der Welt ist auch unser eigenes Land gemeint", sagte der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki in seiner Rede vor der Nationalen Rassismuskonferenz am 30. August 2000 in Johannesburg. Er fuhr fort: ". . . das Erbe des Rassismus ist so tief verwurzelt, dass es noch in keinem Land der Welt gelungen ist, eine nichtrassistische Gesellschaft zu schaffen. Im Gegenteil, das zutiefst beunruhigende Wiedererstarken von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist ein Teil der gegenwärtigen sozialen und politischen Realität in einigen entwickelten Ländern des Nordens."

Präsident Mbeki hatte keine Bedenken, über das Vorhandensein von Rassismus in seinem Land zu sprechen, der, wenn auch gesetzlich verboten, tatsächlich noch längst nicht verschwunden ist. Wenn man sich die damalige Situation in Südafrika vor Augen führt, ist das auch kaum überraschend. Rassismus war der von den Kolonialisten praktizierte Lebensstil, gleichgültig, ob die Briten oder später die Buren an der Macht waren. Über Jahrhunderte hinweg etablierten sie diese Strukturen.

Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass sich diese Strukturen wie auch das von ihnen geprägte Denken innerhalb von nur sechs Jahren in Nichts auflösen. Die Evolution wird mit Unterstützung der jeweils Mächtigen die notwendigen Grundlagen dafür schaffen, dieses widerwärtige Gift aus den Köpfen der Menschen und der Gesellschaft insgesamt zu verbannen. Dieser Prozess beginnt schon bei den Kindern, und die nicht mehr nach rassischen Gesichtspunkten getrennten Schulen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Was Anfang der 90er Jahre in Deutschland kaum wahrnehmbar seinen Anfang nahm und in der Mitte des Jahrzehnts das Land zu überschwemmen begann, droht nun zu einer Sturmflut zu werden. Manche Beobachter stellen es auf eine Stufe mit dem Beginn der braunen Pest in Deutschland, die das Land in den 30er Jahren verschlang und zur Schaffung des Dritten Reichs samt seinen katastrophalen Folgen führte.

Amtlicherseits wurde der breiten Öffentlichkeit immer wieder versichert, dass es sich dabei um vereinzelte Vorkommnisse handele. Der gleichen Meinung war im Allgemeinen auch die Bevölkerung, die nicht glaubte, und in vielen Fällen auch heute noch nicht glaubt, dass die Lage ernst ist. Einige Menschen kamen in von Asylbewerbern bewohnten Häusern durch Brandstiftung ums Leben. Das wurde als Kavaliersdelikt betrachtet.

Alle Rassisten haben ihre eigene Philosophie zur Rechtfertigung ihres Rassismus. Aber der unlängst gegen einen Schwarzen gerichtete Vorfall macht einen sprachlos. Nach Medienberichten klagt eine Frau in Hannover darüber, allergisch gegen Schwarze zu sein. Sie beeinträchtigten ihre Gesundheit. Ihr "Leiden" wird von einem "Arzt" bestätigt. Die Qualifikation dieses "Arztes" bedarf einer genauen Prüfung. (. . .)

Was tut Deutschland, um dieser Herausforderung zu begegnen? Bedauerlicherweise wird mehr gesprochen als gehandelt. Die Neonazis und Skinheads setzen ungestraft ihr niederträchtiges Tun im Bewusstsein fort, dass die Behörden sie mit Samthandschuhen anfassen. Nicht selten lässt die Polizei sie ungeschoren davonkommen, oder von den Gerichten werden sehr milde Strafen verhängt, die dann, wiederum nicht selten, zur Bewährung ausgesetzt werden. Eine erfreuliche Ausnahme war der Fall des verstorbenen Alberto Adriano. Der junge Mosambikaner wurde am 1. Juni 2000 kaltblütig zu Tode getreten und geschlagen. Beim Verfahren gegen die drei für seinen Tod verantwortlichen Mörder war nicht das geringste Anzeichen für Reue wahrnehmbar. Ganz im Gegenteil, auf ihren Gesichtern war ein breites Grinsen, als der Staatsanwalt die Anklageschrift verlas. Dass sie eine Frau ihres Mannes beraubt hatten, drei Kinder ihres Vaters, eine Mutter und einen Vater ihres Sohnes und praktisch ihres Ernährers, hatte für die auf der Anklagebank Sitzenden nicht die geringste Bedeutung.

Zum Glück sprach der vorsitzende Richter Strafen aus, die der Schwere des Verbrechens gerecht werden. Ein Angeklagter wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, während die beiden anderen eine zehnjährige Haftstrafe antreten mussten. Wenn man vergleichbare andere Fälle heranzieht, in denen es um Verbrechen im Zusammenhang mit Rassismus und Neonazismus ging, war dieses Urteil in gewissem Sinne schon revolutionär.

Oder ließ das Gericht die volle Härte des Gesetzes walten, weil die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf ihm ruhte? Hoffen wir es nicht.

Rufe nach "Zivilcourage" sind nicht genug. Der Staat hat die Kraft und die Macht, der Gewalt und dem Terror ein Ende zu setzen. Ein bevorzugtes Argument zur Rechtfertigung von Gewalt und Terror ist, dass Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnähmen. Das Ergebnis sei eine hohe Arbeitslosenrate unter den Deutschen. Das Dokument Nr. 339 des Bundesministeriums für Wirtschaft zeichnet ein ganz anderes Bild:

"Klischees, Vorurteile und mangelnde Informationen kennzeichnen zuweilen den öffentlichen Diskurs hier in Deutschland über die Ausländer in unserer Mitte. Diese Haltung spürend, setzen einige Einzelne oder extremistische Gruppen diese Unkenntnis in Gewalt um.

Ausländische Mitbürger haben eine wesentliche Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gespielt. Ihre Arbeitskraft hilft auch heute dabei, den nationalen Wohlstand und den hohen Lebensstandard in Deutschland zu sichern. Ob in der Krankenpflege oder in Bereichen, die schwere körperliche Arbeit erfordern, wie zum Beispiel im Maschinenbau oder im Bergbau, sind die ausländischen Mitarbeiter buchstäblich unersetzlich. Die übergroße Mehrheit der Ausländer arbeitet in den Wirtschaftsbereichen mit den meisten Arbeitsplätzen. Etwa 75 Prozent der Ausländer erledigen Arbeiten, die Deutsche nicht tun wollen oder für die einfach keine Deutschen da sind. Das beweist deutlich: Die meisten der in Deutschland tätigen Arbeitnehmer könnten überhaupt nicht ersetzt werden. Mit anderen Worten, wenn die deutsche Industrie plötzlich ohne ihre ausländischen Arbeitnehmer auskommen müsste, würde das nicht weniger arbeitslose Deutsche bedeuten. Ausländer nehmen den Deutschen nicht die Jobs weg - sie entlasten den deutschen Arbeitsmarkt." (Rückübersetzung aus dem Englischen)

Unter der Überschrift "Ausländer tragen das soziale Netz mit" stellt das Dokument 339 fest: "Ausländer schaffen ein Einkommen von annähernd 200 Milliarden DM pro Jahr - nahezu zehn Prozent von Deutschlands Gesamteinkommen. Ihr Beitrag zum sozialen Netz, zur Einkommensteuer usw. beläuft sich auf etwa 90 Milliarden DM (bezogen auf das Jahr 1991 - heute könnten diese Zahlen um vieles höher liegen). Alles in allem zahlen ausländische Mitbürger jährlich etwa 25 Milliarden DM mehr in die öffentlichen Kassen ein, als sie an Leistungen erhalten . . ." (Rückübersetzung aus dem Englischen)

Rassismus ist eine Krankheit, die jeden angeht. Deshalb ist das geschlossene Handeln aller denkenden Menschen gefragt, ihn zu zerschlagen