Kölnische Rundschau, 13.12.2000

UN fordert Hilfe

Täglich sterben weltweit 30.000 kleine Kinder

Berlin/New York - Fast elf Millionen Kinder sterben jedes Jahr weltweit noch vor ihrem fünften Geburtstag an Hunger, Gewalt, Aids und Kriegen. Das sind 30 000 Todesfälle am Tag, wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) am Dienstag in Berlin berichtete.

Allein mit dem tödlichen Aids-Virus infizierten sich in vergangenen und diesem Jahr jeweils rund 600 000 Säuglinge. 170 Millionen Kinder seien mangelhaft ernährt. Kindern einen guten Start ins Leben zu bieten, sei die beste Investition in die Zukunft, heißt es im UNICEF-"Bericht zur Situation der Kinder in der Welt 2001".

"Die ersten drei Jahre sind entscheidend für die Gesundheit und das Überleben der Kinder", sagte der Vorsitzende von UNICEF Deutschland, Reinhard Schlagintweit. Ein Baby komme mit 100 Milliarden Gehirnzellen zur Welt, die sich in den ersten Monaten miteinander vernetzten.

"Das entscheidet über die Entwicklung." Das Kinderhilfswerk glaubt, dass die gesundheitliche, geistige und emotionale Förderung von Kleinkindern auf Dauer helfen könnte, den Teufelskreis von Armut, Gewalt und Epidemien in den Konfliktregionen der Welt zu durchbrechen.

Bei der Hälfte aller Todesfälle kleiner Kinder unter fünf Jahren ist dem Kinderhilfswerk zufolge Mangelernährung im Spiel. Allein 24 Millionen Babys erblickten unterernährt das Licht der Welt, sagte Schlagintweit. Weltweit seien 170 Millionen Kinder unter fünf Jahren unterernährt. Aber auch Gewalt gegen Kinder und Misshandlungen von Frauen erhöhen die Sterblichkeitsrate.

Weiterer wesentlicher Todesfaktor ist die Aids-Seuche. Von weltweit 34 Millionen HIV-Infizierten sind dem Bericht zufolge 1,3 Millionen unter 15 Jahren. Die meisten Kinder stecken sich während der Schwangerschaft und Geburt bei ihren Müttern an. Eine weitere tragische Folge des Aids-Virus: 13 Millionen Kinder auf der Erde haben durch Aids Mutter oder Vater verloren.

Im Kampf ums Überleben haben Kinder in Afrika und Asien die schlechtesten Chancen. In Afrika sterben jährlich rund 4,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren, in Süd- und Ostasien insgesamt 5,2 Millionen. In Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion gibt es bei kleinen Kindern pro Jahr 220 000 Todesfälle, in Lateinamerika und der Karibik 440 000, im Nahen Osten und Nordafrika 580 000. In den Industrieländern erreichen jährlich 60 000 Kinder nicht das fünfte Lebensjahr.

Die Entwicklung von Kindern werde von vielen Regierungen und Eltern als Privatsache betrachtet, sagte der UNICEF-Regionaldirektor für Ost- und Südafrika, Urban Jonsson. "Elternschaft aber kann und muss gelernt werden", forderte er. "Kinder sind Subjekte des Rechts und nicht Objekte der Mildtätigkeit."

Häufigste Todesursachen sind laut UNICEF-Bericht Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt, Atemwegserkrankungen und Durchfall, aber auch Krankheiten wie Masern, Diphtherie und Keuchhusten sowie Malaria. Insgesamt sterben jährlich fast 600 000 Frauen an Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt.

UNICEF appellierte an Regierungen und Spender in aller Welt, mehr für frühkindliche Programme zu tun. Viele hätten noch immer nicht entdeckt, dass sie damit "nachhaltige Entwicklungshilfe" leisten könnten. Der Bericht nennt einige Initiativen, die anderen Ländern als Beispiel dienen könnten.

Ein philippinisches Programm kontrolliert das Wachstum kleiner Kinder, die unter besonders schweren Bedingungen aufwachsen, versorgt sie mit jodhaltigem Salz, wichtigen Nährstoffen und sauberem Wasser. Die Türkei informiert junge Familien per Videoserie, wie sie ein anregendes Umfeld für den Nachwuchs schaffen können. Auf den Malediven soll ein Multimedia-System erreichen, dass die Insulaner ihre Kinder mehr schätzen und geschlechtsspezifische Klischees abbauen.