junge Welt, 12.12.2000

Wie den Tablada-Gefangenen helfen?

jW fragte Hans Peter Kartenberg, Sprecher der Gefangenenehilfsorganisation Libertad

Vertreter der Gefangenenhilfsorganisation Libertad und der katholischen Organisation Pax Christi übergaben dem argentinischen Botschaftssekretär am Montag in Berlin eine Protesterklärung.

F: Am gestrigen Montag sind Sie in der Sache der Gefangenen im argentinischen La Tablada mit dem Botschaftsrat Argentiniens in Berlin zusammengekommen. Wie verlief das Gespräch?

Der Botschaftsrat, Maximilian Gregorio Cernades, hat uns empfangen, und wir hatten dann ein halbstündiges Gespräch über die Sache. An dem Gespräch nahmen auch eine Vertreterin und ein Vertreter der Organisation Libertad und ein Vertreter der Organisation Pax Christi im Erzbistum Berlin teil. Wir haben dem Botschaftsrat unsere große Sorge um die hungerstreikenden Gefangenen von Tablada mitgeteilt. Die zwölf Gefangenen sind jetzt in den 97. Tag des Hungerstreikes eingetreten. Es geht ihnen sehr, sehr schlecht, einer liegt bereits in Koma.

Der Botschaftsrat wußte um diese Situation. Er hatte also vorab mit der Regierung Kontakt gehabt und hatte auch ein Schreiben vorliegen, aus dem die Lage der Gefangenen hervorging. Das Problem hat er durchaus auch gesehen. Er erklärte, daß die Regierung bereit sei, eine Lösung zu suchen und die Empfehlung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission umzusetzen. Das hieße, das Verfahren gegen die Gefangenen wird neu aufgerollt.

F: Wie lautet die Anklage?

Die Gefangenen gehören zu einer Gruppe, die 1989 den Armeestützpunkt La Tablada besetzte, weil die Befürchtung bestand, daß von dort ein Militärputsch organisiert wird. Schließlich hatte das Land seit 1983 schon vier Putschversuche erlebt. Bei der Erstürmung wurden 28 Besetzer getötet und 22 verhaftet. Neun von ihnen verschwanden später, die sterblichen Überreste von dreien wurden erst im August aus einem anonymen Grab geborgen.

F: Präsident Fernando de la Rúa hat bei seinem Amtsantritt versprochen, die Forderungen zu erfüllen und die Verfahren neu aufzurollen. Wieso ist bis heute nichts geschehen?

Das ist strittig. Es trifft zu, das hat uns auch der Botschaftsrat erläutert, daß die Regierung auf politischer Ebene eine Initiative gestartet hat. Ein Gesetzesvorschlag wurde schon am 3. August dieses Jahres ins Parlament eingebracht, so wie es den Gefangenen versprochen wurde. Seitdem sind verschiedene Parlamentsdebatten ergebnislos zu Ende gegangen. Nach 97 Tagen Hungerstreik kann man sagen, daß - auch wenn ein politischer Wille vorhanden sein könnte - eine Lösung hinausgezögert wird. Unterdessen geht es den Gefangenen immer schlechter. Sie drohen für etwas zu sterben, was ihnen die Regierung längst versprochen hat.

F: An welchen Gruppen im Parlament scheitert es denn?

Vor allem an der Opposition, also an den Anhängern des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem. Sie unterhalten eine enge Beziehung zu den verbliebenen Generälen der Diktatur, es sind sozusagen ihre Protegés. Aber auch Abgeordnete der Regierungskoalition haben sich einer Initiative offen verweigert oder sind den Abstimmungen ferngeblieben. Dadurch fehlten Stimmen für eine Mehrheit.

F: Der Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie ist also noch nicht vollendet.

Es ist auf jeden Fall so, daß es sozusagen von einigen politischen Parteien und Fraktionen auch im Parlament eine Art totalitaristische Auffassung gibt. Sie handeln nach dem Motto »Wenn die roten Verbrecher freikommen, dann sollen auch die noch einsitzenden Putsch-Generäle freikommen«. Die Regierung ist nicht bereit, den politischen Preis zu tragen und ungeachtet dieser Differenzen eine klare Entscheidung zu treffen, so wie sie es eigentlich versprochen hat.

F: Der gestern übergebenen Protesterklärung haben sich auch namhafte Persönlichkeiten angeschlossen, unter ihnen von deutscher Seite Günter Grass und Oskar Lafontaine. Was aber passiert in Argentinien selbst?

Es gibt ja sehr viele Menschenrechtsorganisationen, auch Prominente, unter anderem die Mütter von der Plaza de Mayo oder der Nobelpreisträger Adolfo Peres Esquivil. Und alle, ausnahmslos alle setzen sich für die Sache dieser Gefangenen ein, vor allem auch Intellektuelle, Schriftsteller und bekannte Persönlichkeiten wie die Sängerin Mercedes Sosa. Sie gehen fast wöchentlich zum Sitz des Präsidenten, um sich für die Forderungen der Gefangenen einzusetzen. Das findet in der Öffentlichkeit Gehör, aber bei den Verantwortlichen stößt es auf taube Ohren.

F: Würde es Sinn machen, die deutsche Vertretung in Buenos Aires zu bemühen?

Das ist natürlich ein weiterer Schritt, den wir gehen werden. Wir hoffen, daß auch von dieser Seite etwas passiert. Trotzdem kann man nicht davon ausgehen, daß sich die deutsche Vertretung für die argentinischen Gefangenen besonders engagieren wird. Das war in der Vergangenheit nicht so, solange keine deutschen Staatsbürger betroffen waren. Hier wird sehr schnell mit einer vermeintlichen Einmischung in innere Angelegenheiten argumentiert. Das weisen wir natürlich zurück, weil Menschenrechte keine innere Angelegenheit sind. Zumal es eine sehr breite internationale Koalition von namhaften Persönlichkeiten, amnesty international, Nobelpreisträgern und anderen Organisationen gibt, die nun diesen wirklich noch sehr vorsichtig formulierten Appell unterzeichnet haben. Da ist so eine Haltung wirklich unangebracht.

Interview: Harald Neuber