Main-Echo, 12.12.2000

Im Hause Cetin keimt neue Hoffnung auf

Landratsamt prüft jetzt Anspruch der Weilbacher Kurdenfamilie auf ein Bleiberecht nach dem Ausländergesetz

Kreis Miltenberg. Angst frisst Seele auf: Die Sorge um seine Angehörigen hat Mehmet Cetin psychisch erschöpft. Jetzt allerdings gibt es neue Hoffnung im Hause Cetin, dass das Tauziehen um die Zukunft der in Weilbach lebenden und von der Abschiebung bedrohten sechsköpfigen Kurdenfamilie doch noch ein gutes Ende findet. Der Grund: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das Landratsamt Miltenberg zur Prüfung angehalten, ob die Familie Anspruch auf ein Bleiberecht nach dem Ausländergesetz hat.

Chancenlos sind die Cetins allerdings, als Asylberechtigte anerkannt zu werden. Die Münchner Richter bestätigten am 24. November Entscheidungen des Landratsamts Miltenberg: Weder die so genannte Härtefallregelung aus dem Jahr 1996 noch die Altfallregelung 1999 kann die Kurdenfamilie für sich reklamieren. Während die Anwälte der Familie damit im Asylrechtsverfahren endgültig gescheitert sind, nährt eine weitere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die Hoffnung im Hause Cetin: So hat sich die Ausländerbehörde im Landratsamt jetzt mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Kurdenfamilie nach dem Ausländergesetz ein Bleiberecht zugesprochen werden kann.

Den Grund für das unerwartete Urteil sieht der frühere Weilbacher Bürgermeister Paul Ripperger, der seit Jahren für den Verbleib der Familie in Deutschland kämpft, in der Einzigartigkeit des Falls: Als Zwölfjährigen hatten die Eltern den kleinen Mehmet ins Flugzeug gesetzt. Bei Verwandten in Klingenberg sollte er aufwachsen - sicher vor den Angriffen des türkischen Militärs auf das ostanatolische Dorf Meryan nahe der Stadt Nusaybin. So zumindest das von Cetin geschilderte Szenario, wie es in die Asylanträge einging.

Alle Klagen abgewiesen

Im Haus der Schwester Ayse fand Mehmet Cetin Unterschlupf. Dem Umzug in die Gemeinde Weilbach folgte im Jahr 1993 die Hochzeit. Auch für Ehefrau Sükriye und die drei Kinder Welat, Sehmus und Latife stellte der Kurde in der Folge Asylanträge, die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt wurden; die Gerichte wiesen in allen Instanzen die Klagen gegen diese Entscheidung ab.

Dabei hatten die Anwälte Cetins immer wieder die Konsequenzen einer Abschiebung in die Türkei geltend gemacht. So befürchtet die Familie, dass der fünfjährige Sohn Sehmus, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, am Bosporus nicht adäquat behandelt werden könnte. Mehmet Cetin verwies wiederholt auf seine drei Geschwister, die in Deutschland leben dürfen, weil ihnen in der Heimat politische Verfolgung droht. Warum kann dies nicht auch für ihn gelten? Doch nicht nur um das eigene Wohl bangt der 27-jährige Kurde: Wovon wird sich seine Familie - vor einem Monat wurde mit Söhnchen Umit das vierte Kind geboren - ernähren, sollte er in der Türkei zum Militärdienst eingezogen werden? Die Fülle und Schwere dieser Argumente haben den Verwaltungsgerichtshof nach Ansicht von Paul Ripperger dazu veranlasst, sich bei der mündlichen Verhandlung zwei volle Stunden der Familie Cetin zu widmen - für den CSU-Kreisrat eine ausgesprochen lange Anhörungszeit und ?ein Beispiel für humanen Gesetzesvollzug?. Damit, ist sich Ripperger sicher, wollte das Gericht ?ein Signal in Richtung Innenministerium aussenden?.

Ob das dort so gesehen wird, ist fraglich. Jedenfalls hofft der Weilbacher, dass es nicht zur Machtprobe zwischen Justiz und Staatsgewalt kommt. Die Angst der bayerischen Behörden, durch einen positiven Bescheid einen Präzedenzfall zu schaffen, ist für Ripperger völlig unbegründet. ?So einen Fall gibt es in Bayern kein zweites Mal.?

Im Miltenberger Landratsamt wurde das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs mit Verwunderung aufgenommen. Das bayerische Innenministerium sei mittlerweileüber die Entscheidung informiert, teilte gestern Regierungsrat Gerald Rosel, Leiter der Abteilung ?Sicherheit und Ordnung?, auf Anfrage mit. Während die Ausländerbehörde mit Spannung auf eine Stellungnahme aus München wartet, soll der Fall Cetin im eigenen Haus noch einmal nach allen Kriterien des Ausländergesetzes abgeklopft werden.

Humanitäre Gründe von Gewicht

Dabei werden auch, wie von den Richtern angeführt, ein Urteil des Bundesgerichtshofs sowie Stellungnahmen der Europäischen Menschenrechtskommission geprüft. Dennoch warnt Rosel vor Euphorie: Sollten humanitäre Gründe für die Familie Cetin sprechen, ?müssten diese schon von einigem Gewicht sein?. Mit einer Entscheidung ist laut Rosel nicht vor Anfang nächsten Jahres zu rechnen. Bis dahin gelte es, ?alles durchzuchecken, was nur denkbar ist?, zumal die Familie Cetin gegen den Bescheid erneut klagen kann.

Paul Ripperger und seine Schützlinge hoffen indes, dass das Landratsamt dem Spuk ein Ende setzt und der Familie Cetin nach einer Duldungsfrist in spätestens zwei Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Profitieren könnte Mehmet Cetin dann von einer noch im Dezember in Kraft tretenden Verordnung der rot-grünen Bundesregierung. Diese sieht vor, abgelehnten Asylbewerbern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Bislang schon hat Mehmet Cetin insgesamt zwei Jahre mit Unterbrechungen bei den Steinmetzfirmen Miseer (Klingenberg) und Habermann (Laudenbach) gearbeitet - wie es das Gesetz vorsieht, immer nur dann, wenn der Arbeitsplatz weder mit Deutschen noch mit EU-Bürgern besetzt werden konnte.

Die Frist läuft ab

Am 15. Januar 2001 läuft die so genannte Grenzübertrittsbescheinigung ab. Wird der Familie Cetin vorher das Bleiberecht verweigert, muss sie fristgerecht und freiwillig ausreisen. Andernfalls droht die Abschiebung. Dann könnte die Familie ihre Angehörigen in Deutschland nie mehr besuchen. Manfred Wei