Frankfurter Rundschau, 12.12.2000

Abschreckung und Schikane

Experten: Lange hier lebende Zuwanderer kommen zu kurz

Von Ursula Rüssmann (Frankfurt a. M.)

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering plädiert dafür, neben der Zuwanderung von Fachkräften verstärkt schon hier lebende Ausländer zu fördern. Migrationsforscher und Wohlfahrtsverbände kritisieren, dass solche Überlegungen bei der Lockerung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge und der geplanten Reform der Sprachkurse nur unzureichend umgesetzt würden.

"Wie bei der Echternacher Springprozession" gehe Rot-Grün in der Einwanderungspolitik vor, bilanziert der Dortmunder Soziologe Peter Kühne. Zwei Schritte vor und einen zurück - etwa bei der vergangene Woche beschlossenen Öffnung des Arbeitsmarktes für Flüchtlinge: Zwar dürfen sich Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge künftig nach einem Jahr Wartezeit Arbeit suchen, doch bekommen sie den Job nur, wenn ihn kein Deutscher oder EU-Ausländer haben will. Diese Regelung empfänden sowohl Flüchtinge als auch Arbeitgeber "als Schikane", berichtete Kühne jetzt aus einer von ihm durchgeführten Studie. Ebenso schlimm: Der rot-grüne Beschluss ändert nichts an der Praxis mancher Landesarbeitsämter wie etwa Nordrhein-Westfalens, mit Negativlisten viele Berufe ganz für Flüchtlinge zu versperren, auch dann, wenn sich für einen solchen Job kein Deutscher oder EU-Ausländer findet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht in den Listen ein "unsinniges Abschreckungsinstrument" und hatte ihre Abschaffung gefordert.

Halbgar sind nach Darstellung des Sozialwissenschaftlers Kühne auch die Pläne der Bundesregierung zur Reform der Sprachförderung. Zwar sollen ab 2002 mehr Ausländer Anspruch auf Deutschkurse haben, zehntausende Asylbewerber und Geduldete sind aber weiter ausgeschlossen. Jugendliche aus geduldeten Familien bleiben außerdem bei sämtlichen Berufsförderprogrammen außen vor und stehen damit, so Kühne, "nach der Sekundarstufe I praktisch ohne Perspektive da". Schließlich: Gut ausgebildete Flüchtlinge benötigen oft ein Leben lang Sozialhilfe, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wird. Kühne: "Der Abstieg ist für die Menschen nur durch die Hoffnung auszuhalten, dass es ihren Kindern einmal besser geht."