Mainpost, 12.12.2000

Angst, dass die eigenen Kinder ihre Wurzeln verlieren

Religiöse Minderheiten fühlen sich nicht bedroht

SCHMITTEN (DPA) Die Gefühle sind zwiespältig, wenn syrische Christen, afghanische Hindus oder türkische Ye'ziden, deren Glauben sich aus muslimischen und jüdischen Elementen zusammensetzt, von ihrer neuen Heimat reden. Da ist zum einen Dankbarkeit, dass sie in Deutschland endlich in Frieden ihre Religion ausüben können, um derentwillen sie in ihren Herkunftsländern oft brutal verfolgt wurden.

Da ist aber auch Verzweiflung, weil man hier wieder als Minderheit kritisch beäugt wird, weil man fürchtet, dass die eigenen Kinder ihre Wurzeln verlieren. "Unser Leben ist nicht mehr akut bedroht - und doch können wir nicht in der Freiheit leben, die wir uns wünschen", fasst ein Hindu das Leben religiöser Minderheiten in Deutschland zusammen.

Schuld daran, so sieht es der Frankfurter Religionswissenschaftler Prof. Edmund Weber, sei vor allem der geringe Bekanntheitsgrad der vielen kleinen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Christentum, Judentum und Islam, dazu ein paar spektakuläre Sekten vom Universellen Leben bis zu Scientology - sie bestimmen die öffentliche Diskussion. Dabei existiert daneben eine Vielzahl kleiner Religionsgemeinschaften, deren Integration für den inneren Frieden in der Bundesrepublik von großer Bedeutung sei. 5,5 Millionen Menschen bekennen sich Statistiken zufolge in Deutschland zu solchen kleinen Religionsgemeinschaften, zu ihnen zählen etwa 150 000 Buddhisten und 95 000 Hindus, die sich jeweils wieder in unterschiedliche Strömungen aufspalten.

Nahezu alle Vertreter kleiner Religionsgemeinschaften fühlen sich in der Ausübung ihrer Religion eingeschränkt, wie eine Diskussion bei der Evangelischen Akademie Arnoldshain im Taunus jetzt zeigte. Die Klagen reichen von zu wenigen Gebetsstätten bis zur Angst vor offener Ablehnung, wenn Riten öffentlich wahrnehmbar werden wie zum Beispiel der Muezzinruf.

Dabei ist religiöser Pluralismus Weber zufolge gute Tradition seit den Zeiten deutscher Kleinstaaterei: "De facto war Deutschland stets eine multikulturelle Gesellschaft." Zwar hätten Kultur- und Religionsfreiheit immer das Einheitsbedürfnis der Gesellschaft gestört, doch Vielfalt bringe "allemal mehr Nutzen als der Versuch, hier zu Lande eine Leitkultur zu etablieren". Systeme, die Alternativen zuließen, seien stabiler als Diktaturen.

Das reale Leben vieler Religionsgemeinschaften in Deutschland spürt von dieser geforderten Vielfalt wenig: "Die Freiheit hier zu leben, ist nicht die komplette Freiheit", klagt der Frankfurter Mukes Sachdev. Er gehört zu den knapp 5000 afghanischen Hindus in Deutschland. Seit dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat wurden sie zwischen radikalen muslimischen Taliban und den Kommunisten der sowjetischen Besatzung zerrieben. Doch auch in Deutschland ist es allein aus praktischen Gründen schwer für sie, ihre Religion auszuüben. Gerade fünf Tempel gebe es in ganz Deutschland, die meisten Asylbewerber könnten die Reise dorthin nie antreten.

Doch auch dem Vorwurf übertriebenen Anspruchsdenkens sehen sich die Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften ausgesetzt. "Wir wollen ja, dass sie in Freiheit ihrer Überzeugung leben können, aber der deutsche Staat muss ihnen kein Land für einen Tempel zur Verfügung stellen", macht ein deutscher Seminarteilnehmer deutlich. Individuelle Eigenarten könnten aber in keinem Land der Welt per Gesetz berücksichtigt werden.

Doris Wiese-Gutheil