junge Welt, 11.12.2000

Israels ökonomischer Knüppel

Wirtschaftskrieg gegen Palästinenser. Warnungen vor Verzweiflungstaten

Der UNO-Sondergesandte für den Mittleren Osten, Terje Roed-Larsen, forderte in der vergangenen Woche die israelische Regierung auf, umgehend die Wirtschaftsblockade der palästinensischen Gebiete aufzuheben. Bereits im Oktober hatte die israelische Regierung in Jerusalem angeblich aus Sicherheitsgründen die Zwangsmaßnahmen umgesetzt, um auch mit wirtschaftlichen Mitteln den Widerstandswillen der Palästinenser zu brechen.

Der Norweger Roed-Larsen, der 1993 eine Schlüsselrolle bei den Geheimverhandlungen zwischen der PLO und Israel in Oslo gespielt hatte und als Vermittler sowohl von den Israelis als auch von den Palästinensern geschätzt wird, erklärte auf einer Pressekonferenz, daß »die Lebensbedingungen der Palästinenser rapide gesunken und das Sicherheitsnetz dünn geworden ist«. Nach Roed-Larsen müßten Palästinenser wegen der Blockade heute mit umgerechnet vier D-Mark am Tag auskommen. Vor Beginn der Intifada war es durch einen relativen Wirtschaftsaufschwung gelungen, die Arbeitslosigkeit in der Westbank und im Gaza-Streifen von 30 Prozent im Jahre 1996 auf lediglich zwölf Prozent im letzten Jahr zu senken. Aber nun steht sie als Ergebnis der Blockade bei 40 Prozent, was bedeutet, daß mehr als 260 000 Menschen Arbeit suchen. »Drei Jahre Fortschritt in zwei Monaten ausgelöscht«, meinte dazu Roed-Larsen, der davon ausgeht, daß mehr als eine Million Palästinenser einen schweren Einkommensverlust haben hinnehmen müssen.

Selbst die Palästinensische Autonomiebehörde hat kein Geld mehr, um ihre Angestellten zu bezahlen. Insgesamt, so schätzt der Norweger, hat die palästinensische Wirtschaft bereits in den ersten 60 Tagen der Wirtschaftsblockade einen Verlust von fast einer Milliarde Mark erlitten. Und jeden Tag, den die Sanktionen andauern, kommt ein Schaden von weiteren 20 Millionen Mark hinzu. Diese Zahlen enthalten weder die Kosten für die Versorgung der über 9 000 verwundeten Palästinenser noch die entgangenen Steuereinnahmen, die sich auf umgerechnet Hunderte Millionen DM belaufen dürften. Die Kosten für die von den Israelis zerstörte Infrastruktur können noch gar nicht geschätzt werden.

Das Aal-Mazen-Zentrum für Menschenrechte im Gaza- Streifen führt eine Liste, wonach die israelische Armee (IDF) mit schweren Waffen allein in den ersten sechs Wochen des Konfliktes 431 Häuser ganz oder teilweise zerstört hat. Außerdem 14 amtliche Gebäude, zehn Fabriken und 14 religiöse Einrichtungen. Außerdem führt die IDF unter dem Vorwand notwendiger Sicherheitsmaßnahmen eine Art Öko- Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung. Dazu gehört die Zerstörung und das Ausreißen von Obst- und anderen Bäumen durch die Israelis. Das palästinensische Landwirtschaftsministerium schätzt die Zahl der von der IDF und den israelischen Siedlern zerstörten Bäume auf mehr als 44 000. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Obstplantagen.

Offiziell behauptet die israelische Regierung, daß diese Maßnahmen notwendig seien, um ein freies Schußfeld zu haben. Andererseits wird kein Hehl daraus gemacht, daß damit auch der wirtschaftliche Druck auf die Palästinenser erhöht werden soll. Hardliner wollen sogar noch schärfer vorgehen und die palästinensischen Gebiete total isolieren. Sie wollen, daß die israelische Elektrizitätsgesellschaft, die Israel Electric Corporation, die Palästinenser vom Netz nimmt. Dabei sollen die sieben Millionen Mark, die die Autonomiebehörde der Elektrizitätsgesellschaft schuldet, als Vorwand genommen werden. Aber ebenso wie der norwegische UNO-Vertreter Roed-Larsen hat auch der israelische Inlandsnachrichtendienst Schin Bet vor einem solchen Schritt gewarnt, weil die dann noch verzweifelteren und hoffnungsloseren Palästinenser zu Angriffen im israelischen Kernland getrieben würden.

Rainer Rupp