Neuß-Grevenbroicher Zeitung online, 9.12.2000

Demonstrationen für Hungerstreikende

Türkischer Justizminister verschiebt Eröffnung neuer Gefängnisse

Istanbul/Ankara (dpa). Der türkische Justizminister Hikmet Sami Türk hat 51 Tage nach Beginn eines Häftlingshungerstreiks angekündigt, dass die Eröffnung neuer Gefängnisse mit Zellensystem verschoben wird. Nun müsse das "Todesfasten" möglichst schnell beendet werden, sagte der Minister am Samstagabend in Ankara. Wann die Inbetriebnahme neuer Gefängnisse mit kleinen Zellen an Stelle der bisherigen Massenunterbringung wieder auf der Tagesordnung stehen soll, konnte der Justizminister nicht sagen. Reaktionen von den 203 hungerstreikenden Häftlingen auf diese Ankündigung waren am Abend noch nicht bekannt.

Die Häftlinge befürchten, dass sie in den neuen Zellen isoliert und Übergriffen von Aufsehern ausgesetzt sein könnten. Bisher leben bis zu 100 Häftlinge in großen Räumen. Immer wieder kommt es zu blutigen Revolten. Das Justizministerium wollte mit der geplanten Reform die Gefängnisse modernisieren. Mehrere Schriftsteller und Künstler kamen am Samstag in das Bayrampasa-Gefängnis in Istanbul, um mit den Häftlingen zu sprechen. Auch Vertreter der Menschenrechtskommission des Parlaments waren bis zum Abend in der Haftanstalt. Ergebnisse der Gespräche waren nicht bekannt.

Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden verschlechtert sich indes weiter: Zahlreiche Häftlinge haben teilweise bereits bis zu 25 Kilogramm an Gewicht verloren. Am Samstag demonstrierten in der Türkei hunderte Menschen gegen die geplante Gefängnisreform und für die hungerstreikenden Häftlinge. In Istanbul nahm die Polizei Berichten zufolge rund 200 Demonstranten fest. Eine Protestkundgebung in der Hauptstadt Ankara, an der rund 1 000 Menschen teilgenommen haben, verlief dagegen ohne Zwischenfälle.

Bereits am Freitagabend waren in Istanbul rund 1 000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Polizei hatte die Demonstranten daran gehindert, vom zentral gelegenen Taksim-Platz aus durch eine belebte Einkaufs- und Vergnügungsstraße zu marschieren. Von Freitagabend bis Samstagmorgen hatten zudem zahlreiche Menschen vor dem Sitz des Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer in Ankara demonstriert. "Wir gehen nicht in Zellen", stand auf Plakaten.