Süddeutsche Zeitung, 9.12.2000

EU will weltweit für Frieden sorgen

Gipfel gründet europäische Krisenreaktionstruppe / Unklarheiten im Verhältnis zu USA und Nato / Von Udo Bergdoll

Der Aufbau der schnellen EU-Eingreiftruppe - das war ein Gipfelthema, über das die Staats- und Regierungschefs in Nizza eigentlich nicht streiten wollten. Es kam aber ganz anders: Weil der britische Premier Tony Blair die Kritik der Europagegner in seinem Land fürchtete, war nur eine grundsätzliche Einigung möglich, wichtige Details blieben offen.

Die Krisenreaktionstruppe der Europäer soll demnach vom Jahr 2003 an in der Lage sein, binnen zweier Monate 60 000 Mann zu mobilisieren und ein Jahr lang überall in der Welt zu intervenieren. Offen ist noch, wie europäische Nato-Länder angebunden werden, die nicht der EU angehören, und wie eng die Verflechtung mit den Strukturen des Nato-Bündnisses sein soll.

In einer voreilig verteilten Schluss-Erklärung stellten die Staats- und Regierungschefs fest, dass es der EU künftig möglich sein werde, internationale Krisen unter Aufsicht des Rates (also der Regierungen) zu bewältigen. Die Union werde eigenständig Beschlüsse fassen und in Fällen, in denen die Nato als Ganzes nicht beteiligt sei, Operationen zur Krisenbewältigung einleiten und durchführen können. Damit solle die EU auf der internationalen Bühne voll handlungsfähig werden. Zur Nato müssten enge und vertrauensvolle Beziehungen entwickelt werden. Die Nato bleibe die Grundlage der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder. Schweden, das vom Januar an die nächste halbjährige Präsidentschaft der EU übernimmt, solle dafür sorgen, dass die notwendigen Abmachungen über die militärpolitische Zusammenarbeit von Nato und EU getroffen werden. Als Zugeständnis an Tony Blair wurde dieser Passus am Freitag aus der Erklärung herausgenommen und in einen Annex gestellt, was aber nichts an seiner Gültigkeit ändert.

Unstrittig ist, dass die künftige Armee der EU kein stehendes Heer sein wird. Sie wird sich aus Einheiten der nationalen Streitkräfte zusammensetzen, die je nach Aufgabe neu zusammengestellt werden. Die Aufgaben reichen von der Katastrophenhilfe über Friedensbewahrung bis zur Friedenserzwingung. Über die langfristige Entwicklung dieser Armee neuen Typs haben sich die Europäer allerdings noch nicht verständigt. Die Briten lehnen es ab, überhaupt von europäischen Streitkräften zu sprechen. Es werde niemals eine europäische Armee geben, betont London. Die Briten sind auch dagegen, dass die Militärpolitik zu den Bereichen gehören wird, in denen eine über die EU-Norm hinausgehende verstärkte Zusammenarbeit von Ländern möglich ist, die das wollen und können.

Die Eingreiftruppe der EU wird auf lange Zeit nur weltweit operieren können, wenn sie auf militärische Einrichtungen der Nato zurückgreift. Die noch zu schließenden Verträge mit der Nato sollen dies sicherstellen. Frankreich stellte im Gegensatz zu Deutschland und Großbritannien die eigenständige Rolle der Eingreiftruppe demonstrativ heraus. Das forderte den Widerspruch der Briten heraus; ebenso wie eine Äußerung des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac am Rande des Gipfels, wonach über die Planung und Ausführung von Einsätzen unabhängig vom Nato-Hauptquartier entschieden werden müsse. Die Amerikaner argwöhnen, dass Paris doppelte Strukturen entwickeln wolle, um die EU-Truppe später dann von der Nato und damit von amerikanischem Einfluss abkoppeln zu können. Sie warnten gerade erst wieder vor einer Schwächung der westlichen Allianz.

Schwierigkeiten macht auch die Türkei, die zwar Mitglied der Nato, aber nicht der Europäischen Union ist. Sie fordert gleichberechtigten Zugang zu den militärpolitischen EU-Gremien, den die Union ihr bisher verwehrt. Die 15 wollen Entsendestaaten außerhalb der EU erst dann voll beteiligen, wenn sie unter sich über einen Einsatz bereits entschieden haben. Vorher sollen Nicht-EU-Mitglieder lediglich informiert und konsultiert werden. Die Türkei blockiert deshalb zurzeit Nato-Hilfen für die EU.