Frankfurter Rundschau, 9.12.2000

Gewalt im Nahen Osten eskaliert erneut

Armee feuert auf palästinensischen Polizeiposten / Israelische Lehrerin erschossen

Von Inge Günther

Der Gewaltkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern, der bereits abzuflauen schien, hat am Freitag wieder zu Todesopfern auf beiden Seiten geführt. Mindestens neun Menschen starben bei Anschlägen und Straßenschlachten, unter ihnen zwei Israelis.

JERUSALEM, 8. Dezember. Bei einem palästinensischen Angriff auf einen Transitbus mit jüdischen Lehrern nahe der israelischen Siedlung Kiryat Arba starben am Morgen zwei Menschen. Die Beiden, eine Frau und der Fahrer, waren mit weiteren Personen unterwegs im südlichen Westjordanland, als aus einem palästinensischen Fahrzeug heraus auf sie geschossen wurde. Die 39-jährige Rina Didovsky, starb auf der Stelle, der 31-jährige Mann erlag später seinen Verletzungen. Die Angreifer entkamen.

Israels Ministerpräsident Ehud Barak sprach von einem feigen Anschlag, der bestraft werden müsse. Kurz zuvor hatte er eine Delegation israelischer Hinterbliebener von Terroropfern empfangen, die engen Kontakt zu palästinensischen Familien mit ähnlichem Schicksal pflegen. Die Gruppe hatte am Vortag auch Palästinenser-Präsident Yassir Arafat in Gaza besucht und von dort die Botschaft mitgebracht, dass der PLO-Chef zu Friedensgesprächen bereit sei.

Zur gleichen Zeit hatte der Führer der militanten palästinensischen Tansim-Milizen, Marwan Barghouti, allerdings zu zwei weiteren "Tagen des Zorns" aufgerufen. Der Freitag markierte den 13. Jahrestag des Beginns der ersten Intifada, des Aufstands der Steine gegen die israelische Besatzung. Zudem fand das zweite Freitagsgebet im islamischen Fastenmonat Ramadan statt. Im Anschluss daran kam es in der Jerusalemer Altstadt zu heftigen Straßenschlachten zwischen Steine werfenden Palästinensern und israelischen Soldaten, die Gummi ummantelte Stahlgeschosse einsetzten. Ein palästinensischer Jugendlicher wurde von ihnen getötet. Während der Proteste steckten Demonstranten erneut eine israelische Polizeistation am Löwentor in Brand. Nur Moslems mit israelischen Pässen hatten Zugang zur Al-Aksa-Moschee auf dem Haram al-Scharif, dem Tempelberg nach jüdischem Glauben, erhalten. Westbank-Palästinenser blieben ausgesperrt.

Die Wut darüber entzündete sich in mehreren Städten im Westjordanland. Am Grab Rachels, der Einfahrt zu Bethlehem, erschossen Soldaten den 23-jährigen Palästinenser Muatas Tailach. Ein weiterer kam bei Zusammenstößen in Hebron um. In dem Ort Dschenin im Westjordanland wurden nach Berichten von Augenzeugen mindestens vier palästinensische Polizisten getötet, nachdem die israelische Armee Panzer gegen einen Posten eingesetzt hatte, meldeten Nachrichtenagenturen. Der israelische Rundfunk beschrieb die vier hingegen als Mitglieder einer "Terror-Zelle". Die Bilanz der Getöteten während der acht Wochen dauernden Al-Aksa-Intifada ist damit auf mehr als 300 gestiegen. Reuters zufolge sind die Opfer bis auf 37 Israelis allesamt Palästinenser.