junge Welt, 08.12.2000

Die Zeichen stehen auf Krieg

Israel droht Syrien und Libanon mit Militärschlägen. Verwicklung mehrerer Staaten befürchtet

Seit 1973 war die Gefahr eines großen regionalen Krieges im Nahen und Mittleren Osten nicht so groß wie heute. So urteilte Anfang der Woche ein hoher Beamter des US- amerikanischen Außenministeriums. Mit deutlichen Worten hatte Israel in den Tagen zuvor Syrien und Libanon gewarnt, die andauernden Anschläge der libanesischen Hisbollah gegen die israelische Armee (IDF) im Gebiet der Schaba-Höfe zu stoppen. Diese Höfe liegen im israelisch-libanesisch-syrischen Grenzgebiet und werden sowohl von Israel als auch von Libanon beansprucht. Seit dem Abzug der israelischen Truppen aus dem Libanon haben sich die Scharmützel zwischen Hisbollah und IDF dorthin, an die Nordgrenze Israels verlagert.

Letzten Samstag berichtete die arabische Zeitung Al Hayat in ihrer internationalen Ausgabe von der israelischen Drohung mit einem unbegrenzten regionalen Krieg. Depeschen dieser Art hätten Vertreter der US-Regierung im Auftrag Jerusalems kürzlich weitergeleitet. Demnach hatte der Botschafter der USA in Damaskus, Ryan Crocker, letzte Woche die syrische Regierung gewarnt, daß mit einem größeren israelischen Militärschlag gegen syrische Truppen im Libanon gerechnet werden müßte, falls die Aktivitäten der Hisbollah nicht gestoppt würden. Auch der libanesische Botschafter in Washington, Farid Aboud, war ins amerikanische Außenministerium bestellt worden, wo er vor einem »Desaster« für sein Land gewarnt wurde, falls die Hisbollah- Operationen an der israelischen Nordgrenze andauerten. Noch deutlicher wurde am Wochenende der Nationale Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Generalmajor Uzi Dayan. Er erklärte ohne Umschweife, daß »es unumgänglich« würde, »die syrischen und libanesischen Machtzentren anzugreifen, wenn die Lage an der Nordgrenze sich weiter erschlechtern« würde.

Die Zeichen stehen auf Krieg. Und wie der aussehen könnte, beschrieb der bekannte amerikanische Kolumnist Thomas Friedman, der über beste Verbindungen zu den Regierungen in Washington und Jerusalem verfügt, letzten Freitag in der New York Times. In Form eines Memorandums von US-Präsident Clinton an den syrischen Präsidenten Bashar Assad gehalten, warnt Friedman, daß Israel es nicht hinnehmen würde, wenn »Syrien die Spielregeln ändert und das Kriegsgeschehen vom Südlibanon nach Nordisrael verlagert«. Deshalb könnte Syrien darauf gefaßt sein, daß »Israel jeden syrischen Panzer und jedes syrische Geschütz im Libanon angreifen wird.« Aber um dies zu tun, »müßten israelische Jets zuerst jene syrischen Radarstationen und Flugabwehrbatterien in Syrien selbst zerstören, die den libanesischen Luftraum abdecken«. Das aber - so Friedman - »bedeutet Krieg im Nahen Osten«.

Beobachter gegen davon aus, daß eine solche Aggression mit großer Wahrscheinlichkeit die Intervention von Irak und Iran in den Konflikt zur Folge haben würde. Die Middle East News Line berichtete am Dienstag, daß Iran und Irak zum ersten Mal seit Jahrzehnten ihre Differenzen begraben und sich auf eine militärische Kooperation gegen Israel verständigt haben.

Rainer Rupp