Frankfurter Rundschau, 8.12.2000

Auf dem Weg in die Hölle

Der iranische Journalist Akbar Ganji steht vor Gericht

Von Ahmad Taheri

"Unser Gott sucht nach jedem Anlass, seinen Dienern das Tor zum Paradies zu öffnen. Euer Gott aber nimmt alles zum Vorwand, seine Geschöpfe in die Hölle zu schicken." Mit diesen Worten wandte sich der iranische Journalist Akbar Ganji an Richter Hassan Moqaddas, einen Mann der Rechten. Der populäre Verfechter der Reform steht in diesen Tagen vor einem Teheraner Revolutionsgericht. Der Staatsanwalt wirft ihm vor, er habe während einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung im April dieses Jahres in Berlin die nationale Sicherheit gefährdet, die islamischen Werte verhöhnt und die islamische Führung beleidigt. Wie die meisten Teilnehmer der Konferenz war Ganji nach seiner Rückkehr in den Iran verhaftet worden. Während die meisten gegen hohe Kautionen wieder freikamen, blieb Ganji im berüchtigten Evin-Gefängnis. Der Prozess wird wegen des Protests der Öffentlichkeit öffentlich geführt.

Nach mehr als sechs Monaten Gefängnis, von denen er 160 Tage in Einzelhaft verbrachte, wirkt Ganji ungebrochen. Schon am ersten Verhandlungstag hatte er für Aufsehen gesorgt. Kaum hatte er den Gerichtssaal betreten, hob er seine Arme und rief, man habe ihn geschlagen und gezwungen, die Gefängniskleidung anzuziehen. Er zog die Häftlingsjacke aus und zeigte den Zuschauern die Verletzungen. Er werde ab dem heutigen Tag in Hungerstreik treten, kündigte er an. Haben Sie Zeugen, fragte der Richter. "Die vier Wärter, die mich im Keller des Gefängnisses zusammengeschlagen haben, werden wohl kaum als Zeugen auftreten", erwiderte Ganji. Vor Gericht nahm der Journalist kein Blatt vor den Mund. Von der Bevölkerung wird er als Held gefeiert. Der Justiz gehe es um Rache, sagt Ganji. Die Konservativen "fürchten um ihre Macht und ihren Reichtum und greifen daher zu faschistischen Methoden". Ganji war einst ein glühender Anhänger der Islamischen Revolution. Der heute 41-jährige diente als Leibwächter des Imam Khomeini und kämpfte später gegen die Truppen von Saddam Hussein.

Nach dem Tod des Revolutionsführers begann wie bei vielen "Kindern der Revolution" der geistige Wandel des einstigen Islamisten. Er studierte Soziologie und beschäftigte sich mit dem abendländischen Gedankengut. Mitte der neunziger Jahre begann er, in iranischen Zeitungen zu schreiben. Landesweit bekannt wurde der kleingewachsene, kompakte Mann durch sein Buch Das dunkle Haus der Gespenster. In dem Bestseller bewies er, dass hinter den Morden an fünf Dissidenten im Spätherbst 1998 der iranische Geheimdienst steht. Was er in seinem Buch ausgelassen hatte, enthüllte Ganji jetzt vor Gericht. Er nannte den Drahtzieher beim Namen: Ali Fallahian, der frühere Geheimdienstchef, sei der Auftraggeber des fünffachen Mordes gewesen. Die geistigen Urheber der Bluttaten jedoch seien einige Männer aus der ersten Riege der schiitischen Geistlichkeit. Die Verantwortung trügen vor allem Ayatollah Ahmad Jennati, der Vorsitzende des mächtigen Wächterrats, und Ayatollah Mesbah Yazdi, der Chefideologe des rechten Flügels der islamischen Establishments. Die beiden hätten mehrfach verkündet, dass die "Beseitigung der Abtrünnigen" ein gottgefälliges Werk sei und daher kein Gerichtsurteil benötige.

Zum Schluss seines Plädoyers sagte Ganji, er rechne mit acht oder neun Jahren Haft. Aber auch wenn es fünfzig Jahre sein sollten, würde er es als Ehre betrachten, denn er kämpfe für Freiheit und Menschenrechte. Im Übrigen habe er nicht vor, sich im Gefängnis das Leben zu nehmen - eine Anspielung auf einige merkwürdige Todesfälle in iranischen Gefängnissen.

In der Islamischen Republik herrscht Eiszeit. Die meisten Reformzeitungen sind verboten und die Reformer sind in der Defensive. Dennoch schlägt der Prozess hohe Wellen. Aus den drei noch verbliebenen Reformzeitungen, über ausländische Sender oder aus dem Internet erfahren die Iraner den genauen Verlauf der Verhandlungen. Täglich treffen Protestbriefe bei der Justiz ein, vor dem Gerichtssaal tragen junge Leute Plakate mit der Aufschrift "Gedanken kann man nicht ins Gefängnis werfen". In den Universitäten wird die Kritik an Justizchef Ayatollah Mahmud Hashemi Shahrudi immer lauter. Selbst Staatschef Mohammad Khatami, der bei solchen Anlässen lieber schweigt, erklärte kürzlich, er sei äußerst besorgt über den Umgang der Gerichte mit den Journalisten und der Presse. In den nächsten Tagen, wenn das Urteil gegen Ganji verkündet wird, wird sich zeigen, ob die konservativen Kräfte ihren politischen Kahlschlag gegen den Willen der Bevölkerung fortsetzen werden.