Tagesspiegel, 8.12.2000

Europarat gegen Isolationshaft für Öcalan

PKK-Chef drohen in türkischem Gefängnis psychische Probleme

Susanne Güsten

Der Europarat hat die Türkei aufgefordert, dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali mindestens einen Häftling zur Gesellschaft zu geben. Die materiellen Haftbedingungen des Rebellenchefs auf Imrali seinen zwar im Wesentlichen nicht zu beanstanden. Dem PKK-Chef drohten in der Einzelhaft allerdings psychische Probleme wie etwa der Verlust seiner Selbstachtung und seiner sozialen Kompetenz. Dies erklärte das Anti-Folter-Komitee des Europarats in seinem am Donnerstag veröffentlichten Bericht über seinen Besuch auf der Insel vom März 1999 und die Kontakte zu den türkischen Behörden. Das Komitee empfiehlt, die Möglichkeit zu prüfen, "einen oder mehrere andere Gefangene nach Imrali zu verlegen und Öcalan den Umgang mit ihnen zu gestatten", hieß es in dem Bericht. Die türkischen Behörden wiesen diesen Vorschlag umgehend zurück. Die türkische Gesetzgebung sehe eine Kontaktsperre für solche Gefangene vor, die wie Öcalan als Terroristen verurteilt sind, hieß es im offiziellen Antwortschreiben der Türkei. Überdies könnten andere Gefangene auch eine Gefahr für den Rebellenchef darstellen; er werde daher auch im Interesse seiner eigenen Sicherheit isoliert. Im Übrigen unternehme die Justiz alle Anstrengungen, um die Effekte der Isolation zu mildern. Sie stelle Öcalan, wie vom Anti-Folter-Komitee breits einmal vorgeschlagen, regelmäßig einen Psychiater sowie "in menschlichen Beziehungen ausgebildetes und erfahrenes" Gefängnispersonal als Gesprächspartner zur Verfügung.

Über seine ebenfalls im März 1999 durchgeführten Inspektionen mehrerer türkischer Polizeibehörden berichtete das Anti-Folter-Komitee, es seien klare Beweise für Misshandlung und Folter gefunden worden. Insbesondere bei der Anti-Terror-Polizei in Istanbul seien Festgenommene offenbar geschlagen, an den Armen aufgehängt und mit Elektroschocks gequält worden. Nachforschungen des Komitees hätten überdies klar ergeben, dass der Tod des Gewerkschafters Süleyman Yeter in der Polizeihaft auf seine Misshandlung dort zurückzuführen sei. Yeter war nur wenige Tage nach dem Besuch des Komitees von der Anti-Terror-Polizei festgenommen worden und zwei Tage später in der Polizeihaft gestorben. In dem Fall wurde inzwischen Anklage gegen drei Polizeibeamte erhoben.

In einem weiteren Bericht bescheinigte das Komitee der Türkei aber auch deutliche Fortschritte bei der Bekämpfung dieser Missstände. Eine erneute Inspektion der Istanbuler Polizeibehörden im Juli dieses Jahres habe gezeigt, dass die schlimmsten Methoden der körperlichen Misshandlungen - insbesondere das Aufhängen an den Armen und die Elektroschocks - stark abgenommen hätten, hieß es darin. Dennoch seien etwa Schlafentzug, erzwungenes langes Stehen und Einschüchterung vor allem bei der Anti-Terror-Polizei noch an der Tagesordnung; auch Schläge auf die Fußsohlen sei eine gängige Qual. Die verbreitete Folterpraxis bei der Polizei wird seit einiger Zeit auch in der türkischen Öffentlichkeit offener und kritischer diskutiert.