Neue Zürcher Zeitung (CH), 7.12.2000

Erneut Anschlag auf einen Israeli in Amman

Ausdruck feindlicher Stimmung im Volk

vk. Limassol, 6. Dezember

Die israelische Botschaft in der jordanischen Hauptstadt Amman hat am Mittwoch mit der Heimführung der Angehörigen ihres Personals begonnen, nachdem am Vorabend ein zweiter israelischer Diplomat auf der Strasse angeschossen worden war. Das erste Opfer eines solchenFeuerüberfalls war am 19. November der Vizekonsul gewesen. Beide Diplomaten wurden nur an den Extremitäten und eher leicht verletzt, beide wurden auf offener Strasse von Unbekannten angeschossen, die nachher fliehen konnten. Den zweiten Überfall beanspruchte eine Gruppe namens Islamische Bewegung für den Jihad in Jordanien. Die Regierung des Königreichs verurteilte die Untaten scharf und versicherte, sie werde die Urheber finden und bestrafen. Der Pressesprecher der israelischen Botschaft bemühte sich, den Vorfall herunterzuspielen. Er lobtedie unvermindert guten Beziehungen zum Königreich und die vorbildlichen Sicherheitsvorkehrender lokalen Polizei. Tatsächlich ist das Botschaftsgebäude von einem doppelten Sicherheitskordonumgeben, und im Inneren sind die Abwehrmassnahmen der Israeli derart scharf, dass nicht einmal eine Tafel Schokolade ohne entsprechende Voranmeldung hineinkommt.

Der Botschaftssprecher erwähnte freilich nicht, dass nach der jüngsten Schliessung der israelischen Handelsvertretungen in Marokko, Tunesien, Oman und Katar wegen des Palästinenseraufstands das Haschemitische Königreich das zweitletzte arabische Land von einiger Bedeutung ist, in dem israelische Diplomaten noch offen residieren können. Jordanien ist genauso wie Ägypten durch die Bestimmungen eines Friedensabkommens gebunden. Hinzu kommt noch Mauretanien, welches auf die finanziellen Vorteile der Beziehung zu Israel nicht verzichten kann. Wegen der andauernden blutigen Unterdrückung der Intifada hat sich die antiisraelische Stimmung in Kairo und Amman aber zusehends verstärkt. Das jordanische Aktionskomitee gegen die Normalisierung mit dem jüdischen Staat feiert Erfolge wie noch nie, und eine Bewegung zum symbolischen Boykott israelischer und amerikanischer Produkte ergreift breitere Kreise der Gesellschaft. Die Urheber der beiden Feuerüberfälle in Amman sindzweifellos Anhänger der laut erhobenen Forderung nach einer Schliessung der israelischen Botschaft, und mit ihren Warnschüssen wollen sie die Diplomaten zur Abreise aus eigener Initiative zwingen. Die Regierung dürfte auf längere Sicht nicht darum herumkommen, auf die Volksstimmung durch eine Zurückstufung der Kontakte mit Israel irgendwie zu reagieren.