Frankfurter Rundschau, 7.12.2000

Friedensaktivisten sehen Barak jenseits der Realität

"Peace Now" setzt auf den Abwanderungswillen israelischer Siedler, um den Nahost-Konflikt zu entschärfen

Von Inge Günther (Jerusalem)

Die Nerven vieler jüdischer Siedler in Westbank und Gaza liegen bloß. Die Hardliner unter ihnen haben für einen Konflikt mit den Palästinensern Bürgerwehren gebildet. Doch eine wachsende Minderheit will lieber heute als morgen nichts wie weg. Auf sie hofft die israelische Friedensbewegung "Peace Now" für ihre Kampagne zur Räumung von Siedlungen.

Weit oben im Forderungskatalog der Friedensaktivisten rangiert denn auch ihr Appell an die Regierung, jede Siedlerfamilie, die wegziehen will, zu unterstützen. In Absprache mit den Betroffenen sollte so schnell wie möglich alternativer Wohnraum angeboten werden. Ein Verlangen, mit dem "Peace Now" (Frieden Jetzt) manchem Siedler aus dem Herzen spricht. "Gebt uns einen Scheck und wir sind hier raus", meinte einer von ihnen, als kürzlich ein Militärkommandant zur Beratung der prekären Sicherheitslage die Bewohner von Kadim und Ganim besuchte.

Diese beiden Siedlungen nahe der Westbank-Stadt Nablus hat lange Jahre vor allem jene angezogen, die saubere Luft, idyllische Landschaft und billigen Wohnraum suchten. Mit nationalreligiösen Motiven hat man in Kadim und Ganim nichts am Hut. Seitdem die siedler-eigene Bypass-Straße in den Monaten der Intifada wiederholt unter Beschuss geriet, sehen viele dort keinen Sinn mehr, in feindlich gesinnter Umgebung auszuharren. Michael Golan von der Verwaltung in Ganim glaubt, dass 70 Prozent seiner Nachbarn am liebsten sofort weg ziehen würden. "Das ist kein Leben mehr, ohne jede Sicherheit", zitierte ihn Yediot Achronoth. Aus anderen Siedlungen wird Ähnliches berichtet.

Die breite Öffentlichkeit sehe ohnehin die israelische Präsenz inmitten palästinensischer Gebiete nur noch als "Gefahrenquelle", die der Armee Probleme bereite, heißt es in dem "Peace Now"-Bericht. Da die israelische Mehrheit sich mit einem palästinensischen Staat abgefunden habe, könne sie von der Notwendigkeit überzeugt werden, die meisten der 145 Siedlungen in Gaza und Westbank zu räumen. "Es wird kein Friedensabkommen geben, das uns nicht zu den Grenzen von 1967 zurück bringt", bringt es "Peace-Now"-Sprecher Didi Remez auf den Punkt. Auch zeige ein genauer Blick auf die Landkarte, dass der alte Plan von Premier Ehud Barak zur Bildung von Siedlungsblöcken "unpraktikabel" sei. Denn mit der Annexion von solchen Blöcken hätte man am Ende mehr Palästinenser als Siedler ins israelische Kernland einbezogen. Im Westjordanland leben heute fast 200 000 Israelis unter etwa zwei Millionen Palästinensern. Der Behauptung, es sei möglich, 80 Prozent der Siedler an Israel anzuschließen, mangele es daher an realer Grundlage. "Sie reflektiert nur das Wunschdenken mancher Politiker, aber nicht die demographischen Fakten", befindet die "Peace Now"-Expertise. Wenn überhaupt wäre eine weit bescheidenere Blocklösung für 42 Prozent der Siedler machbar und das auch nur im Konsens mit den Palästinensern über einen Gebietsaustausch. Das dringlichste Problem stellen nach den Worten von Remez allerdings die jüdischen Kolonien im übervölkerten Gazastreifen dar, die zur Entschärfung des Konflikts sofort geräumt werden sollten.

Entsprechend erzürnt reagiert die ideologisch motivierte Siedlerschaft auf die "Vaterlandsverräter" von "Peace Now". Sie hat geschworen, niemals freiwillig "Judäa, Samaria und Gaza" aufzugeben. Einen Vorgeschmack, was von ihrer Seite aus zu erwarten ist, lieferten in dieser Woche bereits einige Siedler aus Gusch Etzion. Bewaffnet patrouillierten sie des Nachts die Tunnelstrecke im Süden Jerusalems. Und nebenbei wurden einige Schüsse auf das palästinensische Dorf El-Chader bei Bethlehem abgegeben. Quasi als Steilvorlage für eine neue Runde der Eskalation.