Frankfurter Rundschau, 7.12.2000

USA warnen EU vor Konkurrenz zur Nato

Verteidigungsminister Cohen will Europa nur im Bündnis aktiv sehen / Robertson widerspricht

US-Verteidigungsminister William Cohen hat die Europäische Union (EU) vor dem Aufbau einer Schnellen Eingreiftruppe gewarnt, sofern sie als Konkurrenz zur Nato angesehen werden könnte. Dem widersprach Nato-Generalsekretär George Robertson in einem Zeitungsartikel.

BRÜSSEL, 6. Dezember (afp/dpa). Das atlantische Verteidigungsbündnis drohe zu einem "Relikt der Vergangenheit" zu werden, sagte Cohen am Dienstag bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Nato-Generalsekretär Robertson entgegnete in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die für 2003 geplante Schnelle Eingreiftruppe der EU sei keine Konkurrenz, sondern das Instrument, eine fairere militärische Lastenteilung zwischen den USA und Europa zu erreichen.

Cohen betonte, die USA würden die Nato so lange unterstützen, wie die Europäer ihre militärische Kapazitäten in der Allianz aufstockten und ein offenes und transparentes Verhältnis zum Bündnis pflegten. Wenn dies nicht mehr zuträfe, müsste Washington gegebenenfalls seine Haltung überdenken.

Robertson schrieb in seinem FAZ-Beitrag, wenn die USA in politischen Krisenfällen keine Führungsrolle übernehmen wollten, dürfe Europa nicht vor der Wahl stehen "Nato oder nichts". Er bekräftigte in seinem Artikel die Bereitschaft des Bündnisses, "die EU mit seinen kollektiven Mitteln und Fähigkeiten bei solchen Operationen zu unterstützen, in denen die Nato als Ganze nicht handelt".

Die EU-Außenminister hatten am Montag eine Reihe von Vereinbarungen mit der Nato über die künftige Zusammenarbeit im Krisenfall abgezeichnet und eine offizielle Zusammenarbeit der europäischen Militärs vom Sommer an beschlossen. Angenommen werden sollen die Beschlüsse von den EU-Staats- und Regierungschefs, die vom heutigen Donnerstag an in Nizza zusammenkommen.

Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping sagte am Rande des Ministertreffens, die Türkei hege noch "kleine Vorbehalte" gegen die geplante Zusammenarbeit zwischen EU und Nato in Verteidigungsfragen. Vor dem EU-Gipfel in Nizza sei eine Einigung aber nicht mehr zu erwarten. Die Türkei, Mitglied der Nato, aber nicht der Europäischen Union, wehrt sich entschieden dagegen, der EU im Krisenfall Zugang zur Militärtechnik der Allianz zu gewähren. Scharping zeigte sich aber zuversichtlich, dass es innerhalb der kommenden Wochen einen Kompromiss geben werde.

Den Besuch des russischen Verteidigungsministers Igor Sergejew in Brüssel wertete Scharping positiv. Er zeige, dass der "Prozess der Normalisierung an Fahrt" gewinne. Sergejew warnte vor einem neuen Wettrüsten. Eine Änderung des ABM-Vertrags über Raketenabwehrsysteme von 1972 verstünde Russland als Abweichung von der Übereinkunft zur Rüstungskontrolle; dies werde Russland nicht akzeptieren, betonte er. "Als Konsequenz würde dies zur Spirale eines Wettrüstens führen." Die USA planen ein nationales Raketenabwehrsystem, um sich gegen Angriffe mit Langstreckenraketen etwa aus Nordkorea oder Iran zu schützen.