Die Presse (A), 6.12.2000

Angeborene Rechte aller Menschen

In der Geschichte waren die wichtigsten Grundrechtsdokumente Folgen erbitterter Auseinandersetzungen.

Friedliche Zeiten sind keine guten Zeiten für große grundrechtliche Würfe. Die Geschichte hat gelehrt, daß die wirklich bahnbrechenden Dokumente regelmäßig im Gefolge erbitterter Auseinandersetzungen und im Zuge von Revolutionen zustande gekommen sind. Die derzeitige Unsicherheit über die Zukunft der EU, von der die Charta ein wenig ablenken mag, ist damit in keiner Weise zu vergleichen.

Eine der ersten Freiheitsverbürgungen war die Magna Carta Libertatum, die Adel und Geistlichkeit 1215 dem englischen König Johann ohne Land abgetrotzt haben. Verbürgt wurden damals Privilegien der Stände, nicht aber Grundrechte des einzelnen.

Bürgerrechte gab es erstmals im England des 17. Jahrhunderts als Folge des Machtkampfs zwischen Parlament und König. Die Habeas Corpus Akte (1679), die einen richterlichen Befehl als Bedingung jeder Verhaftung verlangt, wirkt bis heute fort.

Die ersten allgemeinen Erklärungen der Menschenrechte wurden erst hundert Jahre später formuliert: In Amerika machte nach der revolutionären Lösung der britischen Kolonien von der Krone die Virginia Bill of Rights (1776) den Anfang, in Europa war es die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789), in der die angeborenen Rechte aller Menschen zuerst betont wurden. In anderen Ländern dauerte es noch Jahrzehnte, bis vergleichbare Grundrechtskataloge erstellt wurden: darunter das österreichische Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867. Dieses gehört hier dafür bis heute zum Kernbestand der Grundrechte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war sich die Staatengemeinschaft bewußt, daß die Grundrechte auch einer internationalen Absicherung bedürfen. Am 10. Dezember 1948 nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte an. Der Text war unverbindlich und entwickelte zunächst bloß moralische Autorität. Rechtlich bindend sind die UN-Pakte von 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie über bürgerliche und politische Rechte.

Einen ungeahnt starken Einfluß auf die Menschenrechte in Österreich hat die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 genommen. Sie bietet einen sehr wirksamen Schutz, weil sie verbindliche Urteile über die Teilnehmerstaaten ermöglicht hat.