Stuttgarter Zeitung, 06.12.2000

Türkei blockiert EU und Nato

BRÜSSEL. Die Türkei blockiert das Abkommen, mit dem die militärische Zusammenarbeit zwischen der Nato und der EU geregelt werden soll. Offenbar will man als Beitrittskandidat stärker in die europäische Sicherheitspolitik einbezogen werden.

Von Thomas Gack

Den Nato-Verteidigungsministern ist es am Dienstag auf ihrer Herbsttagung in Brüssel nicht gelungen, den Vorbehalt Ankaras gegen die in den Grundzügen unterschriftsreifen Vereinbarungen zwischen der Nato und der Europäischen Union zu überwinden. Offenbar will die türkische Regierung mit ihrer Blockadepolitik die EU dazu zwingen, sie stärker in die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik einzubeziehen.

Die EU ist zwar bereit, den Nato-Staaten, die nicht der EU angehören, weitgehende Informations- und Konsultationsrechte zuzugestehen. Sie lehnt aber im internen Brüsseler Entscheidungsprozess Mitspracherechte von Staaten ab, die nicht der EU angehören. Das für Ende des Jahres geplante formelle Abkommen über die Zusammenarbeit und die Abstimmungsmechanismen zwischen EU und Nato wird deshalb beim EU-Gipfeltreffen in Nizza Ende dieser Woche noch nicht vorliegen. "Die Türkei hat in der Nato den Hebel in der Hand'', meinte ein hoher deutscher Diplomat in Brüssel.

Dessen ungeachtet werden die 15 Staats- und Regierungschefs der EU die neuen sicherheitspolitischen Strukturen der EU, den von den Verteidigungsministern aufgestellten Truppenstärke-Katalog mit nationalen Zusagen über die Bereitstellung von 60000 Mann und die provisorisch schon in Brüssel arbeitenden Gremien in Nizza formell beschließen. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping hofft, dass der Widerstand der Türkei gegen die vertraglichen Vereinbarungen mit der EU "möglichst rasch nach dem Nizza-Gipfel'' überwunden werden kann und das EU-Nato-Abkommen dann im kommenden Frühjahr abgeschlossen werden kann. "Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Teil der Nato-Strategie'', sagte Scharping. Die vorgesehene enge Zusammenarbeit von EU und den Nato-Staaten, die nicht der EU angehören, auf der einen Seite sowie die Anbindung der neutralen EU-Staaten in die Politik der Nato sei ein "enormer politischer Gewinn''.