junge Welt 06.12.2000

»Doppelte Moral«

Nigerianische Oppositionspolitikerin kritisiert BRD. Akubuo A. Chukwudi weiter in Abschiebehaft

Obwohl selbst die SPD-Fraktion im Schweriner Landtag gemeinsam mit dem Koalitionspartner PDS in einem offenen Brief an Innenminister Gottfried Timm (SPD) fordert, die Abschiebung von Akubuo Anusonwu Chukwudi »im Hinblick auf die höchst unsichere Situation in Nigeria bis zur gerichtlichen Entscheidung in seinem Hauptverfahren auszusetzen« und ihn aus dem Gefängnis zu entlassen, sitzt der Menschenrechtsaktivist weiter in Abschiebehaft im mecklenburgischen Bützow.

Für Stephania Evboikuokha, die sich im Namen der Vereinigten Demokratischen Front von Nigeria (UDFN) ebenfalls schriftlich an Timm gewandt hat, ist die Behandlung, der Chukwudi ausgesetzt ist, ein Exempel für die »doppelte Moral der Bundesrepublik«. Ihr Antrag auf Freilassung Chukwudis vom 20. November ist bislang unbeantwortet geblieben, wie sie am Dienstag gegenüber jW betonte. Auch Stephanie Wansleben vom Internationalen Menschenrechtsverein Bremen machte am Dienstag in Berlin auf den Widerspruch aufmerksam, daß einerseits 200 000 Menschen auf einer Großkundgebung »Menschlichkeit und Toleranz« forderten und andererseits Flüchtlinge, die selbst für ihre Rechte aufstehen, systematisch diskriminiert werden und von Abschiebung bedroht sind. Dies bestätigte auch der PDS- Bundestagsabgeordnete Carsten Hübner. Er wies darauf hin, daß es etwa in Thüringen »gängige Praxis« sei, Flüchtlinge, die sich gegen ihre menschenunwürdigen Lebensbedingungen zur Wehr setzen, in andere Heime zu verlegen.

Akubuo Chukwudi wurde am 20. November in den Räumen des Bremer Menschenrechtsvereins verhaftet, nachdem im Juli der Abschiebeschutz aufgehoben worden war (jW berichtete zuletzt am 27.11.). Seitdem befindet er sich in einem unbefristeten Hungerstreik.

Osaren Igbinoba von der Flüchtlingsorganisation »The Voice - Africa Forum« fürchtet um das Leben eines der prominentesten Vertreter der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten«. Auch nach dem Machtwechsel in Nigeria werden Oppositionelle »auf offener Straße erschossen«, der O'oduas Peoples Congress (ODP), dem Chukwudi angehört, ist verboten, betonte Sunny Owmenyeke von »The Voice«.

Gegenüber jW meinte Igbinoba, um das Leben Chukwudis zu retten, müsse er sofort aus der Haft entlassen werden. Den Hungerstreik sehe der Nigerianer auch als Aktion für die Rechte aller Flüchtlinge und als Protest gegen ihre unmenschliche Behandlung. Deshalb werde er von sich aus nicht mit dem Fasten aufhören. »Die Justiz hier stört es offenbar nicht einmal, wenn Akubuo stirbt«, so das bittere Resümee Igbinobas.

Nachdem am 25. November bereits in Schwerin und Bremen Demonstrationen gegen Chukwudis Abschiebung stattfanden, zogen am gestrigen Dienstag etwa 70 Aktivisten von »The Voice« und vom Menschenrechtsverein mit einem Schweigemarsch vor das Bundesinnenministerium in Berlin, um auf die Situation Chukwudis aufmerksam zu machen. Einen Fortschritt in der Sache hat es unterdessen nicht gegeben, obwohl sich die prominente Anwältin Gabriele Heinecke in das Verfahren eingeschaltet hat. Ein von ihr eingereichter Haftprüfungsantrag wurde vom zuständigen Richter am Montag ohne weitere Begründung abgewiesen.

Auch ein Gutachten der leitenden Ärztin der JVA Bützow, das dem Nigerianer »Abschiebeunfähigkeit« bescheinigt, wurde nicht berücksichtigt. Der Richter war nicht einmal bereit, die Ärztin zur Verhandlung hinzuzuziehen, um ihre Einschätzung des Gesundheitszustandes von Akubuo anzuhören.

Stephanie Wansleben wies gegenüber jW darauf hin, daß am heutigen Mittwoch zwei Schauspieler der Fernsehserie »Lindenstraße« in Schwerin ein Schreiben an Innenminister Timm übergeben werden, in dem sie Akubuos Freilassung fordern.

Jana Frielinghaus