Salzburger Nachrichten (A), 6.12.2000

EU-Tor für Türkei ist offen

Nur mit 70:30 schätzt Österreichs Außenministerin Benita Ferrero-Waldner die Erfolgschancen des EU-Gipfels von Nizza ein, der am Donnerstag beginnt.

WIEN, ISTANBUL (SN, pur, APA).

In der Kernfrage der EU-Reform sind für Österreich drei Dinge unabdingbar: Jedes Land muss einen Kommissar behalten. Änderungen bei der Stimmgewichtung im Rat müssen "maßvoll" sein, dürfen die Souverä-nität und Gleichberechtigung der Mitglieder also nicht einschränken. Und beim Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip zu Mehrheitsentscheidungen verlangt Österreich Ausnahmen etwa beim Wasser.

"Viele andere Staaten wollen auf unsere Wasservorräte zugreifen, das können wir nicht akzeptieren", sagte Ferrero-Waldner. Ihrer Einschätzung nach wird der Gipfel von Nizza wegen der enormen Meinungsverschiedenheiten nicht zwei, sondern vier Tage, also bis Sonntag dauern. Ein Scheitern würde einen Prestigeverlust für Europa bedeuten und den Erweiterungsprozess bremsen, so die Ministerin.

Am Beginn des Gipfels morgen, Donnerstag, steht ein Treffen der 15 EU-Mitglieder, der zwölf Beitrittswerber, der Schweiz und der Türkei. Was die EU-Außenminister am Montagabend zur so genannten Beitrittspartnerschaft mit Ankara beschlossen haben, löst in der Türkei helle Freude aus. Zum ersten Mal hat es die Europäische Union geschafft, die konkreten Beitrittsbedingungen für Ankara so zu formulieren, dass sowohl die Türkei als auch der EU-Partner und langjährige Rivale Griechenland einverstanden sind. Nun wird der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit auf dem EU-Gipfel von Nizza teilnehmen, um die Beitrittspartnerschaft zu besiegeln. Doch das Gerangel um das Dokument ist ein Vorgeschmack darauf gewesen, dass diese Partnerschaft alles andere als problemfrei sein wird.

Zwei Stolpersteine: Zypern und Ägäis

Nachdem es Griechenland gelungen war, in der ersten Fassung des Dokuments eine Forderung zum Zypern-Konflikt zu verankern, meldete Ecevit Protest an: Er wollte keinen direkten Zusammenhang zwischen dem türkischen EU-Streben und den türkischgriechischen Streitpunkten zulassen. Ein solches Junktim würde zur Folge haben, dass Ankara seinen EU-Beitritt mit weitreichenden Zugeständnissen an Athen erkaufen müsste. Damit drohten zwei ungelöste Probleme zum Stolperstein der türkischen Europa-Hoffnungen zu werden: Die Zypernfrage und der Streit um Hoheitsrechte in der Ägäis.

Nun hat die Türkei zwar durchgesetzt, dass Zypern und die Ägäis in der EU-Beitrittspartnerschaft nur in abgeschwächter Form erwähnt werden. Dennoch bleibt es dabei, dass Ankara diese Konflikte mit Athen beilegen muss, wenn die Türkei eines Tages tatsächlich in die EU eintreten will. Formelkompromisse wie beim EU-Außenministertreffen am Montag werden dann nicht mehr weiterhelfen.

Dies gilt auch für andere sensible Bereiche der türkischeuropäischen Beziehungen. Beispiel Kurdenfrage: Obwohl die EU den massivsten innenpolitischen Konflikt der Türkei in der Beitrittspartnerschaft nicht einmal beim Namen nennt, sorgt dieses Thema schon jetzt für Zündstoff. Die EU-Forderung nach Zulassung kurdischsprachiger TV-Sender und kurdischer Sprachkurse bringt türkische Nationalisten auf die Barrikaden. Die Türkei soll noch vor Jahresende in einem "Nationalen Programm" darlegen, wie und wann sie die geforderten Reformen anpacken will.