Kurier (A), 6.12.2000

Türkei kann sich über Signal aus Europa nicht recht freuen

Gerade rechtzeitig vor dem EU-Gipfel in Nizza hat die Europäische Union einen Durchbruch in ihren Beziehungen zur Türkei erzielt. Die EU-Außenminister einigten sich zu Wochenbeginn erstmals auf ein Dokument, das die konkreten Bedingungen für einen Beitritt der Türkei zur EU auflistet. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit will nun am EU-Gipfel in Nizza teilnehmen, um die Beitrittspartnerschaft zwischen Brüssel und Ankara zu besiegeln.

Doch in der Türkei selbst wird das Kompromisspapier, dem auch der Erzfeind Griechenland zustimmte, nur "gemischt aufgenommen", meint Udo Steinbach, Experte am Hamburger Orient-Institut zum KURIER. "Regelrecht schockiert ist man, dass der Zypernkonflikt und die Frage der türkisch-griechischen Grenzstreitigkeiten in der Ägäis in den Text aufgenommen wurden.

Die EU hat ihre ursprünglichen Forderungen an Ankara zwar abgeschwächt: Die beiden Probleme müssten nicht vor einem EU-Beitritt gelöst werden, sondern seien nur als Gegenstand des politischen Dialoges zu verstehen, signalisierte man beruhigend in Richtung Ankara. Doch dort sieht man laut Steinbach auch im gemilderten Text der Beitrittspartnerschaft "einen Verstoß gegen die Spielregeln.

In der Frage der geteilten Insel Zypern zumindest sei von der Türkei überhaupt kein Entgegenkommen zu erwarten, glaubt Steinbach. Im Gegenteil habe Ankara dem türkisch-zypriotischen Präsidenten Denktasch geraten, sich an den bevorstehenden Zypern-Gesprächen in Genf nicht zu beteiligen. Insgesamt rechnet der Experte nach dem positiven Signal der EU "paradoxerweise" eher mit einer Eskalation von türkischer Seite - auch in der umstrittenen Haltung gegenüber den Kurden.

Die volle Kooperation der Türkei wird Europa aber auch im Rahmen der NATO benötigen, die derzeit am Aufbau einer europäischen Kriseneingreiftruppe arbeitet. Bisher hat das NATO-Mitglied Türkei weitgehend blockiert. Doch nach Verabschiedung des EU-Textes hofften die NATO-Verteidigungsminister gestern, Dienstag, bei ihrer Herbsttagung in Brüssel auf mildere Positionen Ankaras.

Ingrid Steiner-Gashi