Frankfurter Rundschau, 6.12.2000

Wortspiele in der Zypernfrage

EU findet Kompromissformulierung, aber keine Lösung

Von Gerd Höhler (Athen) und Martin Winter (Brüssel)

Erleichterung in der EU: Der Krach mit der Türkei über deren "Beitrittspartnerschaft" ist abgewendet. Doch lange wird der Frieden nicht dauern. Denn er wurde mit einem faulen Kompromiss erkauft.

Der dem EU-Gipfel in Nizza am Donnerstag vorliegende "Beitrittspartnerschaftsvertrag" mit Ankara wird wohl durchgewunken werden. Dank diplomatischer Wortzauberei war es am Montag gelungen, die Stolpersteine in dem Text so zu verpacken, dass die Türkei sich erfolgreich fühlen kann.

Ursprünglich hatte Griechenland in den Vertrag unter dem Titel "Politische Kriterien" die Forderung eingebaut, das Zypern-Problem müsse kurzfristig und der Streit um die Ägäis mittelfristig gelöst werden. Die Türkei meint jedoch, beide Themen gehörten in den "Politischen Dialog", der unabhängig vom Beitritt mit der EU geführt wird. Die Lösung des Problems fanden die Diplomaten nun in einer Änderung der Überschrift. Zwar stehen die Forderungen der Griechen weiter im Text des Vertrages. Aber über ihnen steht nun "Verstärkter Politischer Dialog und Politische Kriterien". Damit bekommt jeder was er will, Ankara den unverbindlichen "politischen Dialog", Athen die verbindlichen "politischen Kriterien". Auf die Frage, wie lange dieser Kompromiss hält, meinte ein hoher Diplomat in Brüssel: "Bis zur nächsten Gelegenheit".

Also bleibt die Zypernfrage und die von ihr abhängige Normalisierung der griechisch-türkischen Beziehungen ein Problem für die EU. Von den elf Beitrittskandidaten ist Zypern in fast jeder Hinsicht der unproblematischste. Wirtschaftlich steht das Land, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, besser da als Griechenland oder Portugal. Die Strukturreformen und die Anpassung der Gesetzgebung kommen gut voran. Und schon wegen der, im EU-Maßstab, verschwindend kleinen Größe ihrer Volkswirtschaft würde die Insel nie zu einer ernsthaften finanziellen Belastung für die Union werden.

Wäre da nicht die Spaltung. Im Sommer 1974 besetzten türkische Truppen den Inselnorden, um einer befürchteten Annektierung Zyperns durch die Athener Obristenjunta zuvorzukommen. Die Teilung aber hatte bereits 1963 begonnen. Nach Übergriffen griechischer Nationalisten begannen die Zyperntürken, sich in Ghettos zurückzuziehen. Die türkische Invasion besiegelte elf Jahre später die längst vollzogene Trennung der Volksgruppen.

Eine Wiedervereinigung ist nicht in Sicht. Die fünfte Runde der "Annäherungsgespräche" unter UN-Vermittlung endete im November ohne Fortschritt. Eine sechste Runde ist für Januar in Genf geplant. Aber der türkische Volksgruppenführer Rauf Denktasch erklärte bereits, die Verhandlungen seien "Zeitverschwendung", die Gespräche "am Ende". Ob Denktasch überhaupt nach Genf kommt, ist offen.

Die Differenzen scheinen tatsächlich schwer überbrückbar. Während die Inselgriechen unter Berufung auf mehrere UN-Resolutionen die Schaffung eines Bundesstaates vorschlagen, will Denktasch allenfalls über einen lockeren Staatenbund reden. Zuvor verlangt er die völkerrechtliche Anerkennung der 1983 einseitig ausgerufenen und bisher von aller Welt, außer der Türkei, ignorierten Türkischen Republik Nordzypern.

Zwar beteuert EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, eine Lösung der Zypernfrage sei nicht Voraussetzung für die Aufnahme der Insel. Aber die Aufnahme eines geteilten Zyperns, so fürchten Diplomaten, würde die EU auf Jahre hinaus zu einem Forum des Konflikts und der griechisch-türkischen Streitfragen machen. Eine weitgehende Lähmung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik könnte die Folge sein. Und Griechenland scheint entschlossen, die gesamte EU-Erweiterung zu blockieren, wenn Zypern nicht im ersten Durchgang mit dabei ist. Selbst wenn die Athener Regierung nicht von ihrem Veto Gebrauch machen sollte, gilt es als ausgeschlossen, dass ein griechisches Parlament, gleich welcher Zusammensetzung, den EU-Beitritt irgend eines anderen Kandidaten ratifizieren würde, so lange Zypern außen vor bleibt.