Süddeutsche Zeitung, 6.12.2000

Asylberater vor Gericht

Das haben wir noch nie so gemacht

Man kann bekanntlich wegen vieler Verfehlungen vor Gericht stehen. Neuerdings auch wegen folgender Sätze: "Hiermit stelle ich einen Antrag auf Duldung. Eine Abschiebung in den Irak ist faktisch nicht möglich." Als Helmut Stapf das schrieb, dachte er sich nichts Böses, er meinte es gut. Nun ereilt ihn der Fluch der guten Tat.

Stapf ist Mitarbeiter der Caritas in Augsburg und zuständig für die Betreuung ausländischer Flüchtlinge. Der Betreuung in hohem Maße bedürftig war an diesem Herbsttag vergangenen Jahres ein von der Abschiebung bedrohter Iraker, ein Mann aus einem Land also, über dessen Menschenrechtsbilanz man nicht viele Worte verlieren muss. Stapf rief einen Rechtsanwalt an, und der ließ dem Flüchtling raten, einen schriftlichen Duldungsantrag an die Ausländerbehörde des Landratsamtes Augsburg zu stellen. Diese Sätze verfasste auf Bitten seines, des Deutschen nur begrenzt mächtigen, Besuchers Caritas-Betreuer Stapf.

Gut gemeint, schlecht gemacht, befand der Augsburger Anwaltverein, der Stapf wegen dieses Falls und dreier ähnlicher verklagte. Man tut der Position des vom örtlichen Rechtsanwalt Gerhard Hettinger vertretenen Vereins wohl kein Unrecht, wenn man sie mit der alten Verwaltungsweisheit "Wo kämen wir dahin, da könnte ja jeder kommen" umschreibt. Stapf, mithin die Caritas als kirchliche Hilfsorganisation, dürfe für ausländische Flüchtlinge, von Hettinger gern "Asylanten" genannt, keine "Rechtsangelegenheiten besorgen". Will sagen: den Anwälten nicht Arbeit und Einkünfte wegnehmen. Das Landgericht Augsburg gab den Klägern recht: "Rechtlichen Rat" dürfe nur erteilen, wer "dazu von Berufs wegen befugt und befähigt ist". Am morgigen Donnerstag steht die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht München an. Stapfs Münchner Anwalt Hubert Heinhold will "notfalls durch alle Instanzen gehen". Denn würde das Augsburger Beispiel Schule machen, könnte die kirchliche Asylarbeit massiv eingeschränkt werden. Jede kleinste rechtliche Hilfe wäre verboten.

Hettinger aber geht es ums Prinzip. Im Kammergebiet München gebe es schließlich über 12 000 Anwälte. Und die wollen, ließe sich hinzufügen, Geld verdienen, und sei es mit Asylbewerbern, die in Scharen ihre Ablehnungsbescheide anfechten. Hettinger drückt das vornehmer aus: "Wir müssen das Rechtsberatungssystem in geordneten Bahnen halten." Juristischer Rat und soziale Betreuung seien in der Praxis doch gar nicht scharf zu trennen, sagt Kontrahent Heinhold und fügt spitz hinzu: "Mit Asylsachen kommt ein Anwalt leicht auf 38 Pfennig Honorar pro Stunde.

Joachim Käppner