Frankfurter Rundschau, 5.12.2000

Schwere Gefechte am Rachel-Grab bei Bethlehem

Israelische Hubschrauber beschießen Flüchtlingslager / Ex-Geheimdienstchef zieht vernichtendes Fazit der Regierungspolitik

JERUSALEM, 4. Dezember (ap/afp). Neue Kämpfe im Westjordanland haben die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern wieder verschärft. Am Rachel-Grab, einem jüdischen Heiligtum bei Bethlehem, kam es in der Nacht zum Montag zu heftigen Gefechten. Israelische Kampfhubschrauber feuerten dabei Raketen auf ein nahe gelegenes Flüchtlingslager. 14 Palästinenser wurden verletzt, zwei von ihnen schwer, wie palästinensische Krankenhäuser mitteilten. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, die Kämpfe begonnen zu haben.

Palästinenser-Präsident Yassir Arafat sprach von einem Schock. Israel habe mit seinem Vorgehen eine Abmachung verletzt, sagte Arafat am Montag vor seinem Amtssitz in Gaza. "Wir hatten uns darauf geeinigt, die Lage zu beruhigen", erklärte er. Nach Berichten des israelischen Armeerundfunks versuchten Siedler, Arafats Konvoi mit Steinen zu bewerfen, als er eine wichtige Durchgangstraße des Gazastreifens benutzte. Mehr als zwei Dutzend Personen seien festgenommen worden.

Der frühere Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Beth, Ami Ajalon, warnte die Regierung von Ministerpräsident Ehud Barak vor der Errichtung eines "Apartheidsystems" in den Palästinensergebieten. Das gegenwärtige Modell in den palästinensischen Gebieten trage jedoch "Züge einer Apartheid" und sei daher mit jüdischen Prinzipien nicht vereinbar.

Ajalon sprach sich gegen eine strikte wirtschaftliche Trennung von Israelis und Palästinensern aus, die von Barak als Sanktion erneut ins Gespräch gebracht worden war. Ajalon bedauerte auch, dass Israel die palästinensische Gesellschaft zu der Erkenntnis gebracht habe, "dass der Staat Israel nur reagiert, wenn man ihm die Pistole an die Schläfe drückt."