Die Presse (A), 5.12.2000

Türkischer Geheimdienst für Kurden-TV

Ankara wandte sich sofort gegen den Vorstoß; aber die Kurden-Debatte ist etwas in Bewegung geraten.

Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN

ISTANBUL. Der sanfte Druck der Europäischen Union auf die Türkei scheint langsam Früchte zu tragen. Der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT, Senkal Atasagun, ließ dieser Tage mit einem geradezu revolutionären Vorschlag aufhorchen: Es solle doch erwogen werden, einen kurdischen Fernsehsender zuzulassen, um das Feld nicht ganz der separatistischen Konkurrenz von der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu überlassen, regte Atasagun an.

Sein Stellvertreter Mikdat Alpay ergänzte, daß der Staat, um die Rebellion der PKK ganz niederzuschlagen, mit den Leuten kommunizieren müsse. Dies sei aber nur auf Kurdisch möglich, da 60 Prozent der kurdischen Frauen weiterhin kein Türkisch verstünden. Die zentrale Entscheidungsgewalt der Türkei, der unter starkem Einfluß des Militärs stehende Nationale Sicherheitsrat, wandte sich sofort gegen diese Idee des Geheimdienstes . War das nun ein Versuchsballon? Immerhin scheint die die EU mit ihren Forderungen nun nicht mehr ganz so allein zu sein. Die EU-Kommission hat sich in ihrem Entwurf für die Beitrittsbedingungen der Türkei - ohne das Kind beim Namen zu nennen - für kurdischen Unterricht und kurdisches Fernsehen stark macht. Die konkreten Fortschritte in der Türkei nehmen sich freilich bescheiden aus. So hat ein türkisches Gericht einem Sender in der Kurden-Metropole Diyarbakir erlaubt, in Reportagen wenigstens "teilweise" Interviews in Kurdisch auszustrahlen. Geklagt hatte der in Diyarbakir ansässige regionale Fernsehsender Can TV, der aufgrund einiger kurdischer Passagen in einer Sendung geschlossen wurde.

Der Sender bekam vor Gericht dann sogar von der Staatsanwaltschaft Recht. Der Staatsanwalt am Oberverwaltungsgericht, Öcal Beninktan, erklärte, wenn in einer Sendung "teilweise" eine "Fremdsprache" verwendet werde, so verletze dies nicht das berühmte Gesetz 3984, nachdem Radio- und Fernsehsendungen vollständig in Türkisch sein müssen. Das Gericht widersprach auch der Auffassung der Polizeidirektion, daß es dem Sender verboten sei, "immerfort" kurdische Musik zu senden und während einer Live-Sendung Gespräche in Kurdisch zu führen. Über die Schließung des Senders müsse deshalb erneut verhandelt werden. Nicht bühnenreif

Bühnenreif ist Kurdisch in der Türkei bis heute nicht. Jedenfalls bestätigte ein Gericht in Ankara, daß das Theaterstück "Die Republik der Irren" von Kemal Ulusoy nicht auf Kurdisch aufgeführt werden darf. Den Gebrauch des Kurdischen fanden die Richter nämlich dazu geeignet, "die Gesellschaft ethnisch zu spalten und in der Gesellschaft die Empfindungen von Haß zu vermehren." Strikt verboten ist nach wie vor der Gebrauch des Kurdischen in der Schule, und selbst das Abhalten von Sprachkursen durch private Träger ist untersagt. Dazu dient ein Gesetz aus der Zeit der Militärherrschaft von 1980, das die Anzahl der Fremdsprachen, die in der Türkei unterrichtet werden dürfen, auf neun beschränkt; Kurdisch ist natürlich nicht darunter.