taz 5.12.2000

Radikalität gespeist aus Empörung

Yonas Endrias, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, vermisst Antirassismus in Deutschland

Es existiert kein nennenswerter antirassistischer Widerstand in Deutschland. Und die Linke missbraucht den Rassismus für ihre eigenen ideologischen Zwecke. Mit diesen Thesen provozierte Yonas Endrias, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, bereits 1992 die Öffentlichkeit. Gleichzeitig forderte er Flüchtlinge und Immigranten dazu auf, das europäische Links-rechts-Schema zu vergessen und nicht nur da nach Unterstützung zu suchen, woher große Worte und Plakate kommen.

Endrias Radikalität speist sich bis heute aus Empörung. Darüber, wie wenig Unterstützung die Opfer rassistischer Gewalt von der Gesellschaft erhalten. Oder darüber, dass nach rassistischen Morden an Schwarzen zwar Gott und die Welt nach ihrer Betroffenheit befragt würden, nur nicht die afrikanischen Organisationen. Seit Jahren arbeitet Endrias an der Vernetzung der schwarzen Community, um so auch dem Eurozentrismus entgegenzuwirken.

Endrias hält die Balance zwischen großer Politik und der Arbeit im Kleinen und Unauffälligen. Er leistet er ehrenamtliche Einzelfallhilfe. Zum Beispiel für Jona Ipinge und Lucas Nghidiniwa. Die beiden namibischen Jugendlichen wurden im Mai 1991 von einem rassistischen Schlägertrupp aus dem vierten Stockwerk eines Wohnheims in Wittenberge geworfen. Ohne das Engagement des 40-jährigen Politologen, hätten Ipinge und Nghidiniwa niemals die ärztliche Versorgung und die Berufsausbildung erhalten, die sie nach ihren schweren Verletzungen brauchten. Lange Jahre drohte ihnen die Ausweisung aus Deutschland.

Konkrete Hilfe für die Menschen, emotionale Teilhabe an deren Situation, auch wenn das öffentliche Interesse erlahmt, das ist es, was für den gebürtigen Eritreer wirkungsvolle antirassistische Arbeit ausmacht. Aber daran mangelt es für Endrias heute ebenso wie 1992. Antirassismus ist hin und wieder für ein paar Tage chic, aber noch lange keine Grundeinstellung der Mehrheit der Gesellschaft. ese