Berliner Zeitung, 4.12.2000

Merz: "Kopftuch an Schulen ist inakzeptabel"

Ausländer sollen sich deutschen Sitten anpassen

HAMBURG, 3. Dezember. Der CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz hat eine Anpassung der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer an deutsche Sitten gefordert und damit den von ihm geprägten Begriff Leitkultur verteidigt. In einem Streitgespräch mit der Grünen-Vorsitzenden Renate Künast für "Bild am Sonntag" sagte er: "Zwingend ist, dass sie Deutsch lernen und unsere Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten akzeptieren." Merz betonte, er habe den Begriff "wohl überlegt" gesagt, um eine Diskussion um Einwanderung und Integration in Gang zu bringen.

Zu den Inhalten gehöre, dass Religionsunterricht nicht an Koranschulen stattfinde, sondern an öffentlichen Schulen unter deutscher Schulaufsicht. "Wenn das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen erfolgt, ist das in Schulen nicht akzeptabel, genauso wenig wie das grausame Schächten von Tieren." Integration werde fast unmöglich, wenn Kinder vor allem aus türkischen Familien für die Jahre ihres Heranwachsens in die Türkei geschickt würden und als Erwachsene nach Deutschland zurückkehrten. "Deshalb muss auch das Nachzugsalter für Kinder sehr niedrig angesetzt werden", forderte Merz.

Künast warf dem CDU-Politiker vor, er spiele mit dem Feuer. Sie kritisierte die "rückwärts gewandte Diskussion, weil diese Leitkultur an nationale Grenzen anknüpft."

Der Leiter der CDU-Zuwanderungskommission, der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, bekräftigte derweil seine Kritik am Begriff Leitkultur. Bei der Arbeit der Kommission spiele er keine Rolle, und in der öffentlichen Diskussion habe er kaum noch Bedeutung, sagte Müller der "Magdeburger Volksstimme". Parteichefin Angela Merkel fordere zu Recht eine Debatte über die nationale Identität. "Wir müssen darüber reden, was Nationalbewusstsein und Liebe zum Vaterland bedeuten", sagte der CDU-Politiker. "Ich treffe überall Menschen, die froh sind, Deutsche zu sein. Deshalb müssen wir auch darüber reden, was es ausmacht, Deutscher zu sein. Damit kann man auch Wähler in der Neuen Mitte gewinnen."

CDU über Asylrecht uneins

Uneinigkeit herrscht in der Union auch über die Reform des Asylrechts. Merz (CDU) sagte in der "Bild am Sonntag", Deutschland werde "vermutlich gar nicht darum herumkommen, das Grundrecht auf Asyl in eine institutionelle Garantie umzuwandeln, wenn wir zu einer gesamteuropäischen Lösung kommen wollen". Der "Kernbestand" des Asylrechts, religiös und politisch Verfolgten Zuflucht zu gewähren, bleibe erhalten. Zum anderen könne damit der "Asylmissbrauch" eingedämmt werden, der dazu führe, dass die Asylverfahren teilweise bis zu acht Jahre dauerten.

Dagegen sagte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, vielleicht seien Missbrauch und Verkürzung der Asylverfahren auch ohne Grundgesetzänderung zu erreichen. Sollte sich dies herausstellen, würde auch die CSU keine Änderung mehr fordern. Eine Grundgesetzänderung sei die "Ultima Ratio". Meyer schloss "aus heutiger Sicht" eine Unterschriftenkampagne in Sachen Einwanderungsgesetz und Asylrecht aus. (AP, Reuters, AFP)