Die Presse (A), 2.12.2000

"Die Völker treiben ihre Politiker zum Frieden"

Griechenland-Türkei. Athens Außenminister Georgios Papandreou zur Aussöhnung mit Ankara, zur Zypern-Frage und zum EU-Gipfel in Nizza.

Ein "Presse"-Gespräch VON CHRISTIAN ULTSCH

DIE PRESSE: Nach einem guten Start hat der türkisch-griechische Friedensprozeß zuletzt Rückschläge erlitten. Wie erklären Sie sich diesen Umstand?

Georgios Papandreou: Der anfängliche Enthusiasmus ist nun vorbei. Nach den Flitterwochen sind wir jetzt auf dem Boden einer wirklichen Beziehung mit wirklichen Problemen angelangt. Ja, es gab im Oktober Schwierigkeiten beim Nato-Manöver "Destined Glory". Wir sind nicht glücklich darüber, daß die Türken griechische Flugzeuge daran gehindert haben, über griechische Inseln zu fliegen. Was zählt, ist aber, daß beide Seiten den Weg zum Frieden weitergehen wollen. Wesentlich sind zwei Faktoren: Daß die EU sowohl Zypern als auch der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten gegeben hat. Für die Lösung alter Probleme gibt es dadurch neue Perspektiven. Welche Kräfte wollen die griechisch-türkische Annäherung bremsen?

Papandreou: In der Türkei gibt es Kräfte, die Gewaltandrohung für ein geeignetes Mittel halten, um politische Interessen auf der internationalen Bühne durchzusetzen. Sie sind in ihrem alten Denken gefangen. Sie haben die Veränderungen in der internationalen Politik nicht verstanden.

Man sagt Ihnen ein sehr gutes Verhältnis zu Ihrem türkischen Amtskollegen Ismail Cem nach.

Papandreou: Am wichtigsten ist es, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Ein Konflikt hat immer einen Kern, rundherum jedoch gibt es ein Bündel von Mißverständnissen und Mißstimmungen, die sich über die Jahre anhäufen. Wir haben gesagt, wir beginnen in Bereichen, wo wir leichter übereinstimmen können. Und in einem Jahr ist uns mehr gelungen als in den 40 Jahren zuvor - zehn bilaterale Abkommen, das elfte und zwölfte werden wir auch bald unter Dach und Fach bringen.

Ihre Strategie erinnert an den momentan in Brüchen liegenden Oslo-Friedensprozeß in Nahost: Einfache Fragen zuerst, harte Nüsse später.

Papandreou: Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Problemen in Nahost und den griechisch-türkischen Gegebenheiten: In Nahost grassiert Verbitterung unter der Bevölkerung. In der Türkei und in Griechenland hingegen hat ein grundlegender Wandel in der öffentlichen Meinung stattgefunden. Vielleicht war dieses Verlangen nach Frieden viele Jahre lang in den Herzen der Menschen versteckt. Offen zutage trat es - übrigens nach Beginn der diplomatischen Annäherung - bei den Erdbeben im vergangenen Herbst. Die Sympathiewelle für die Opfer auf der jeweils anderen Seite war außergewöhnlich. Auch jetzt sind es die beiden Völker, die ihre Politiker zum Frieden antreiben.

Wer hält den Schlüssel für eine Lösung in Zypern?

Papandreou: Es gibt viele Akteure, die zusammenarbeiten müssen - die türkischen Zyprioten unter Rauf Denktasch, die türkische Regierung, das türkische Militär, die griechischen Zyprioten. Was mich optimistisch stimmt: Zuletzt gab es eine starke Intensivierung der Kontakte zwischen den Bevölkerungsgruppen. Früher oder später wird das den entscheiden Anstoß für den Frieden geben. Unter den türkischen Zyprioten findet ein Umdenken statt, zum ersten Mal seit 1974: Sie wollen Autonomie, jedoch unter dem Dach eines gemeinsamen Hauses Zypern, und sie wollen Teil Europas sein. Natürlich gibt es Hardliner wie Denktasch, die keine Lösungen finden wollen, weil sie ihren Machtbereich erhalten wollen.

Was ist Athens wichtigstes Anliegen beim EU-Gipfel in Nizza?

Papandreou: Kleine und mittelgroße Länder sollen eine starke Stimme in der EU behalten. Jedes Land sollte daher weiterhin einen eigenen Kommissar haben.

Was ist die größte Herausforderung für die EU in den kommenden Jahren?

Papandreou: Wir müssen eine Balance finden zwischen effektiver Entscheidungsfindung an der Spitze und größerer Partizipation der Bürger. Wir müssen wegkommen von steifen, bürokratischen Kommunikationsprozessen und offenere politische Debatten führen.

War es falsch , Maßnahmen gegen die österreichische Regierung zu verhängen?

Papandreou: Griechenland ist im allgemeinen immer vorsichtig, wie man mit internen Angelegenheiten in Mitgliedsstaaten umgeht. Denn manchmal haben derlei Einmischungen den gegenteiligen Effekt. Wir waren Teil der Entscheidung der EU-14, wir tragen auch die Verantwortung. Wir haben aber oft gesagt, daß für Österreich so bald wie möglich ein Ausweg gefunden werden müsse. Und das ist letztlich auch gelungen.