Hannoversche Allgemeine online, 2.12.2000

"Die EU braucht Schutz vor Islamisten, nicht vor der Türkei"

Mit der Bemerkung, ebensogut wie die Türkei "hätte man gleich auch Libyen" zum EU-Kandidaten machen können, hat Niedersachsens CDU-Chef Christian Wulff eine ganze Bevölkerungsgruppe gegen sich aufgebracht die türkischen Unternehmer in Deutschland. "Libyen hat jahrzehntelang Terroristen unterstützt, die Türkei bekämpft seit Jahrzehnten Terroristen", hält Ahmet Güler, Vorsitzender des Bundes Türkisch-Europäischer Unternehmer (BTEU), dagegen. "Ärgerlicherweise liefert Wulff mit seiner unglücklichen Gleichsetzung ausgerechnet antiwestlichen Strömungen unter den Türken Munition."

Dabei seien die türkische Politik und die meisten Türken in Deutschland traditionell prowestlich, betont Güler, der als Unternehmer in Hannover seit zehn Jahren an der Spitze des BTEU steht. Vor allem für die türkischen Selbstständigen sei diese Westorientierung eine Selbstverständlichkeit - die 3000 Mitglieder, die sein in acht europäischen Staaten repräsentierter Verband allein in Deutschland hat, seien hier ein etablierter Wirtschaftsfaktor. "Türkischstämmige Unternehmer betreiben längst nicht mehr nur Dönerbuden und Gemüseläden", sagt der BTEU-Chef. "Unsere Mitglieder vertreten 165 verschiedene Branchen - darunter auch Zukunftsbereit wie Internet und Genforschung." Knapp eine Million Arbeitsplätze gebe es in den 55.000 türkischen Firmen in Deutschland, allein im vergangenen Jahr seien12,4 Milliarden Mark investiert und mehr als 50 Milliarden umgesetzt worden.

Für den türkischen EU-Beitritt seien diese Selbstständigen, weil viele von ihnen zugleich in ihrer einstigen Heimat unternehmerisch tätig sind und daher wirtschaftliche Vorteile in der EU-Aufnahme der Türkei sehen. "Aber es geht auch um Vorteile für deutsche Firmen", betont der 43-jährige, der vor 20 Jahren nach Deutschland gekommen ist, um hier seinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften zu machen. Für sie könnten gerade die türkischen Unternehmer Türöffner zur Türkei sein. "Das ist ein sehr dynamischer und junger Wachstumsmarkt, über den sich auch andere Länder des Mittleren Ostens erschließen lassen."

"Die EU braucht keinen Schutz vor der Türkei", sagt Güler, "wohl aber vor Islamisten." Mehr als manches antitürkische Vorurteil irritiert den Verbandschef nach eigenem Bekunden der Spielraum, den moslemische Fundamentalisten in Deutschland genießen. "Für Islamisten ist Deutschland geradezu ein Paradies", warnt der Unternehmer. (((Deren hierzulande geduldetes Treiben würde nach seiner Einschätzung in der Türkei im Keim erstickt.))) "Dabei geht es längst nicht mehr nur um fundamentalistische Koranschulen, sondern um den Aufbau islamistischer Wirtschaftsimperien in Deutschland." Beispielsweise hätten zehn fundamentalistische Organisationen in Deutschland mit Schwindelfirmen allein mehr als sechs Milliarden Mark unter nichtsahnenden Gläubigen gesammelt. ((("In türkischen Zeitungsanzeigen versprechen sie möglichen Investoren Gewinnspannen von 70 Prozent - das ist offenkundig betrügerisch, aber die deutschen Strafverfolger schlafen."))) Solche Umtriebe würden womöglich den Türken pauschal angelastet, befürchtet Güler. Das könne wiederum die Verhandlungen um die Beitrittspartnerschaft belasten, über die die EU-Außenminister am Montag entscheiden wollen. (((Der ursprüngliche Fahrplan von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen war in der Türkei bekanntlich positiv aufgenommen worden.))) "Leider will Athen jetzt eine Lösung des Ägäisstreits und der Zypernfrage statt bis 2004 schon bis 2002", klagt Güler. "Damit drücken die Griechen ganz unnötig aufs Tempo - wir alle wissen doch, dass es bis zu einer türkischen Vollmitgliedschaft noch mehr als 20 Jahren dauern wird."

Daniel Alexander Schacht, Hannover, 01.12.2000 21:47 Uhr