Stuttgarter Zeitung, 2.12.2000

Pastorenpartei trotzt Schönbohm Barmherzigkeit ab

Mit Ach und Krach hat die große Koalition in Brandenburg zu einer Einigung in der Asylpolitik gefunden. Der Streit hatte das ohnehin angeknackste SPD-CDU-Bündnis in eine heftige Krise gestürzt.

Von Wolfgang Kunath, Potsdam

Eigentlich hätte es der Herbst der positiven Bilanzen werden sollen. Aber ein Jahr nachdem die Sozialdemokraten in Brandenburg widerstrebend das Regierungsbündnis mit der CDU eingingen, ist niemandem nach einem fröhlichem Resümee zu Mute. Für zur Schau getragenen Optimismus hätten die Journalisten wohl ohnehin nur Hohn und Spott übrig gehabt. Im Frühherbst hatte die Landes-SPD zwar ihre Identitätskrise weitgehend überwunden, in die sie sich hatte hineinsacken lassen, als sie mit der selbstbewussten Union ein Bündnis eingehen musste - nach zehnjährigen Freuden des Regierens entweder mit kleineren oder mit gar keinen Partnern. Aber kaum hatte die SPD wieder Tritt gefasst, tappte die Koalition plötzlich von einem Fettnapf in den anderen - bis hin zu einer handfesten Krise, die sich an einem Streit zwischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und der evangelischen Kirche über die Asylpolitik entzündet hatte.

Ausgangspunkt war der Fall einer vietnamesischen Familie, die vor zehn Jahren in Deutschland Asyl gesucht hatte und nun abgeschoben werden sollte. Und zwar getrennt: Vater und Sohn zuerst, die Mutter mit der neugeborenen Tochter später, wenn die Papiere für das Baby fertig gewesen wären. Bereits früher hatte eine ostbrandenburgische Kirchengemeinde der Familie Kirchenasyl gewährt, was Innenminister Schönbohm auf die Palme brachte. In einem Rechtsstaat sei das schließlich, so Schönbohm, ein völlig unangemessenes Mittel.

Schönbohms Kritiker, zu deren wortgewaltigsten der Cottbuser Generalsuperintendent Rolf Wischnath gehört, werfen ihm vor, es an der gelegentlich notwendigen Barmherzigkeit fehlen zu lassen. Altfälle wie jener der vietnamesischen Familie würden in anderen Bundesländern viel liberaler gehandhabt. Die Auseinandersetzung gipfelte in einem zumindest missverständlichen Vergleich Wischnaths, in dem sich Schönbohm mit der SED-Führung auf eine Stufe gestellt sah, und im Ratschlag Schönbohms, die Kirche solle um ihrer Glaubwürdigkeit willen die Bevölkerung missionieren, statt sich um ihre eigene "Politisierung'' zu kümmern. Wie Wischnath sehen viele Kirchenleute ihre Rolle darin, in der orientierungslos geworden Ex-DDR-Gesellschaft Normen und Werte zu setzen, also auch politisch Flagge zu zeigen.

Was sich zunächst als Streit um theologische Positionen ausnahm, wuchs sich schnell zu einer Koalitionsbruchstelle aus. Das ironische Wort, die Ost-SPD sei eine Pastorenpartei, trifft gerade in Brandenburg ins Schwarze: Die Kirchenopposition der DDR fand sich nach der Wende oft in der SDP, später SPD, wieder. Da kommt es nicht gut an, wenn die Schönbohm-Leute - besonders wenn sie aus dem Westen stammen - naseweis zum Besten geben, die Christen hätten lieber in der DDR den Mund aufmachen sollen statt heute am Innenminister herumzumäkeln.

Bereits in den vergangenen Wochen hatten führende Sozialdemokraten immer wieder diskret darauf hingewiesen, dass für die PDS im Potsdamer Landtag doch eigentlich ganz vernünftige Leute säßen. Auch die - sofort pflichtschuldigst dementierte - Meldung des "Spiegel'', die SPD bereite den Absprung aus der Koalition vor, fügt sich in diese Drohkulisse. Tatsächlich lenkt Schönbohm nun ein: Die Altfälle sollen flexibel gelöst, Strittiges von Schönbohm und Landesbischof Wolfgang Huber besprochen werden. Erstmals, so vermerkten die Beobachter interessiert, war in der sonst Schönbohm hörigen CDU-Fraktion Kritik am Vormann zu hören.

Der Asylkonflikt steht am vorläufigen Ende einer Reihe von Koalitionspannen. Finanzministerin Wilma Simon hatte entnervt den Kabinettstisch verlassen, an dem sie, von CDU-Kulturminister Wolfgang Hackel gereizt, einmal in Tränen ausgebrochen war. Hackel selber ging kurz darauf, weniger wegen der Unvereinbarkeit von Amt und Geschäft als vielmehr wegen seiner hartnäckigen Uneinsichtigkeit in diese Unvereinbarkeit. Justizminister Kurt Schelter (CDU) wiederum, dem ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit vorgeworfen wird, mochte kein Wort des Bedauerns finden, während dem blassen Sozialminister Alwin Ziel (SPD) Tölpelhaftigkeit bei der Flucht des Sexualstraftäters Schmökel angelastet wird.