taz Berlin 2.12.2000

Wer arm ist, wird kränker

Krankheit und Armut stehen in engem Zusammenhang. Das Problem ist bekannt. Auf einem bundesweiten Kongress werden Lösungen gesucht, denn die Politik hat immer noch keine Konzepte

von JÖRG STREICHERT

"Alle Krankheiten mit Ausnahme von Allergien treffen Arme stärker und häufiger", konstatierte Ulrike Maschewsky-Schneider, Professorin für Gesundheitssoziologie. Bereits zum 6. Mal wurde gestern auf dem bundesweiten Kongress "Armut und Gesundheit" die gesundheitliche und soziale Situation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen diskutiert und wurden Ergebnisse aus praktischer Arbeit und Forschungsprojekten präsentiert.

Die Themen der Tagung sind breit gefächert, und doch dreht es sich nur um eines: Armut macht krank. Die ca. 800 Teilnehmer setzten sich gestern mit der aktuellen Situation von Flüchtlingen, mit Wohnungslosigkeit, Altersarmut, Kinder- und Frauenarmut auseinander.

Es hat sich seit dem ersten Treffen 1995 einiges getan: "Dass Arme gesundheitlich benachteiligt sind, wird jetzt auch von staatlicher Seite verstärkt wahrgenommen", resümierte Ulrike Maschewsky-Schneider, die auch Vorsitzende von " Gesundheit Berlin e. V." ist, dem Hauptveranstalter des Kongresses. "Leider gibt es kaum Konzepte oder gar Initiativen zur Lösung."

Ein großes Problem sei die mangelnde Vernetzung der Betroffenen. Außerdem wüssten die benachteiligten Menschen häufig nicht, welche Leistungen es von der Krankenkasse oder dem Sozialamt geben, konstatierte Ramazan Salman, Geschäftsführer des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover. Daher soll der Kongress auch als eine Art Koordinierungsveranstaltung dienen.

"Man muss davon wegkommen, separate Dienste für Arme einzurichten. Die große Herausforderung ist die Integration Armer in das gesamtgesellschaftliche System", erläuterte Ilona Kickbusch, Medizinprofessorin an der Yale University. Doch das ist leichter gesagt als getan. Zum einen sind Arme, wie im Fall von Wohnungslosen, häufig völlig aus dem System herausgefallen, zum anderen benötigen sie oft spezielle Hilfeleistungen, beispielsweise Dolmetscherstellen für Migranten.

So ist auch mangelnde Sprachkenntnis als große Zugangsbarriere zur medizinischen Versorgung ein Schwerpunktthema des Kongresses. Denn Patienten, denen Sprachkenntnisse fehlen und die dazu noch in armen Verhältnissen leben, können nicht angemessen medizinisch aufgeklärt werden. Dies führt zu Unzufriedenheit, mangelnder Akzeptanz und vor allem Unsicherheit auf Seiten der Migrantinnen. "Eine Lösungsmöglichkeit wäre die Einrichtung von Dolmetscherzentren nach holländischem Vorbild", forderte Ingrid Papies-Winkler, Koordinatorin für Gesundheitsförderung im Bezirksamt Kreuzberg/Friedrichshain.