Süddeutsche Zeitung, 1.12.2000

Fall Joseph: Staatsanwalt durchsucht Haus der Eltern

Familie des toten Jungen offenbar nach Sebnitz zurückgekehrt Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat nach Medienberichten in Sebnitz das Haus der Eltern des toten Joseph durchsucht.

Die Mutter des Jungen sei dabei gewesen, teilte der Radiosender "MDR 1 Radio Sachsen" mit. Man fahnde nach Beweismitteln, hieß es.

Offenbar ist die gesamte Familie wieder nach Sebnitz zurückgekehrt. Zuletzt hatte sie sich unter Personenschutz im Allgäu aufgehalten. Die Staatsanwaltschaft Dresden war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.

Der Sechsjährige - Sohn eines gebürtigen Irakers und einer Deutschen - war im Juni 1997 im Sebnitzer Freibad ertrunken. Die Polizei ging damals von einem Badeunfall aus. Die Eltern des toten Jungen vermutete hingegen einen Mord aus rechtsextremen Motiven.

Nach neuen Zeugenaussagen wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Inzwischen wird jedoch der Wahrheitsgehalt der von den Eltern verbreiteten Version bezweifelt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Mutter und drei Zeugen wegen falscher Aussagen.

Keine Anhaltspunkte mehr für Tötung durch Neonazis

Gerichtsmediziner äußerten die Ansicht, Joseph habe wahrscheinlich an einer Herzmuskelentzündung gelitten. Die Krankheit müsse zu Lebzeiten nicht aufgefallen sein. Sie werde aber häufig bei der Untersuchung ertrunkener Kinder erkannt, sagte der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in Gießen, Günter Weiler, der Leipziger Volkszeitung.

Bei der zweiten Untersuchung des Leichnams des Jungen konnte auch das Medikament Ritalin nicht sicher nachgewiesen werden. Hinter dem Befund stehe laut Weiler "ein dickes Fragezeichen". Die Herzmuskelentzündung sei jedoch eine mögliche Erklärung dafür, dass Joseph ertrank, ohne dass dies jemand bemerkt habe.

Lichterkette abgesagt

Die Atmosphäre in Sebnitz bleibt derweil angespannt. Die Stadtverwaltung hat die für Sonntag geplante Lichterkette gegen Rechts abgesagt. Sie befürchtet, dass es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremisten komme. Die Stadt hatte die Aktion angekündigt, um ihren Widerstand gegen den Rechtsextremismus zu verdeutlichen.