junge Welt, 01.12.2000

Axt am Grundgesetz

Bundesrat soll heute Befugnisse von Geheimdiensten ausweiten. Von Ulla Jelpke

Im Bundesrat werden am heutigen Freitag zwei weitere Gesetzentwürfe eingebracht, die im »Kampf gegen rechts« helfen sollen. Dabei will auch die SPD-PDS-Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern das Demonstrationsrecht einschränken und härtere Strafen gegen rechte Gewalttäter durchsetzen. Die Innenministerkonferenz hatte bereits vergangene Woche Bundesinnenminister Otto Schily beauftragt, einen Gesetzentwurf zur Einschränkung des Versammlungsrechts vorzubereiten.

Angeblich sollen damit künftig Naziaufmärsche an »symbolträchtigen rten« wie dem Brandenburger Tor oder dem Holocaust-Mahnmal in Berlin verhindert werden. Solche Aufmärsche seien nicht nur eine Verhöhnung der Naziopfer, sie schadeten auch dem deutschen Ansehen im Ausland, hieß es von den Innenministern. Anstachelung zum Rassenhaß oder Verharmlosung des Holocausts sind aber schon jetzt Straftaten. Zu ihrer Verfolgung braucht es keine Änderung des Demonstrationsrechts. Wenn dann die Politik noch anfängt, das »Ansehen der Bundesrepublik Deutschland« höher einzustufen als Grundrechte von Menschen, die hier leben, ist Alarm geboten.

Zumal aus CDU/CSU-Kreisen weitere Einschränkungen des Versammlungsrechts gefordert werden, die beim Law- and-Order-Flügel der SPD auf Zustimmung stoßen dürften. Berlins Innensenator Eckart Werthebach und die CDU/CSU im Bundestag wollen õ 15 des Versammlungsgesetzes ändern. So sollen Demonstrationen künftig auch dann untersagt werden können, »wenn erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere außenpolitische Belange oder völkerrechtliche Verpflichtungen, verletzt werden«. Kurdische Demos gegen das NATO-Land Türkei, Demos bei Besuchen ausländischer Staatsgäste oder gegen NATO-Kriege mit deutscher Beteiligung könnten dann verboten werden.

Auch die Strafrechtsverschärfungen, die jetzt als »Kampf gegen echts« propagiert werden, laufen fast alle auf die Einschränkung von Grundrechten hinaus. Am eklatantesten ist ein Gesetzentwurf aus Brandenburg von den CDU- Rechtsaußen Schönbohm und Schelter, mit Zustimmung der SPD in den Bundesrat eingebracht. Danach soll Körperverletzung »aus Haß gegen Teile der Bevölkerung« und »aus niedrigen Beweggründen« härter bestraft werden. Doch gerade der Vorwurf der »niedrigen Beweggründe« kommt aus dem Arsenal der politischen Rechten und richtet sich keineswegs nur gegen rechts.

Zudem geht eine gesetzliche Anhebung des Strafmaßes für rechte Gewalt am Problem vorbei. Das hat der Prozeß in Guben wieder gezeigt. Schon die geltenden Gesetze werden von den Gerichten oft nicht ausgeschöpft. Statt dessen wird rechte Gewalt weiter bagatellisiert, aus Mord wird Körperverletzung mit Todesfolge, aus Brandanschlägen wird Sachbeschädigung. Zusätzlich wollen Schönbohm und Schelter durch Änderung der Strafprozeßordnung auch Haft ohne Haftgrund ermöglichen. Telefonüberwachungen, bei denen die BRD schon Weltmeister ist, sollen »im Vorfeld von Volksverhetzungen« erlaubt werden.

Einen weiteren Anschlag auf Grundrechte bereiten Schily und CSU-Innenminister Günther Beckstein vor. Das G-10- Gesetz soll geändert werden. Anonyme Aussagen von V- Leuten und Abhörprotokolle des Verfassungsschutzes sollen als Beweismittel erlaubt werden - angeblich für das Verfahren gegen die NPD, in Wirklichkeit für alle künftigen Prozesse. Das Aktionsfeld der Geheimdienste würde so weiter ausgedehnt. Die Übersicht macht deutlich: Das Verbotsverfahren gegen die NPD hat für CDU/CSU und andere nur Alibifunktion. Die Parole »Kampf gegen Rechts« wird von ihnen benutzt, um in Wirklichkeit massive Grundrechtseinschränkungen zu betreiben. Das erinnert an das Republikschutzgesetz der Weimarer Republik. Angeblich richtete es sich gegen rechts. Zum Einsatz kam es aber fast immer nur gegen Linke.