junge Welt, 01.12.2000

Welches Shampoo benutzt Ihre Frau?

Ehen im Visier: Haben sie eine Erscheinung, kommt das Wesen bundesdeutscher Ausländerbehörden zum Vorschein

»Das Leben hier ist illegal. Ich habe keine Identität in der Hand, ich habe
keinen Ausweis.« Halit Kadir* aus Frankfurt am Main ist in die Mühlen der staatlichen Behörden geraten. Das Ordnungsamt hat seinen Paß eingezogen - Führen einer »Scheinehe«, so lautet der Vorwurf. Nur mit Mühe kann er noch sein kleines Lebensmittelgeschäft im Frankfurter Stadtteil Bockenheim weiterbetreiben. Doch nicht nur geschäftlich ist sein Spielraum stark eingeschränkt.

»Denken Sie mal einen Moment, Sie würden in meinem Körper leben, was ich machen kann ohne Paß. Ich kann keine betriebliche Erweiterung machen, keine Auslandsreise, und deshalb kann ich nicht einmal meine Mutter esuchen.« Ermittler der Frankfurter Ausländerbehörde traktieren ihn seit Monaten mit dubiosen Ermittlungsmethoden - Behörden- und Anwaltsgänge, Rechtfertigungen, körperliche und psychische Probleme bestimmen seither sein Leben. Dabei macht der 51jährige einen gelassenen Eindruck, kommt das Gespräch aber auf seine Probleme mit der Ausländerbehörde, wirkt er sichtlich angespannt. »Das macht mich wirklich jeden Tag nervös«, gesteht Kadir.

Vor rund 30 Jahren kam Kadir in die Bundesrepublik. Seither lebt er, nur unterbrochen vom Militärdienst in der Türkei, in Frankfurt/Main. Hier hat er studiert, für ein Elektrounternehmen gearbeitet, sich schließlich selbständig gemacht. Alle seine Freunde und fast alle Verwandten leben in Deutschland. Seit Jahren ist er mit einer deutschen Frau verheiratet - Probleme gab es nie. Bis vor zirka zwei Jahren die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung anstand. Das behördliche Procedere war Herrn Kadir nicht unbekannt.

Noch vor sieben Uhr in der Frühe fand er sich bei der Frankfurter Ausländerbehörde ein, zog seine Wartenummer und konnte noch am gleichen Vormittag seinen Antrag stellen. Nach einer Bearbeitungszeit von einigen Wochen würde man darüber entscheiden, hieß es von Amts wegen lapidar. Zehn Tage später sah die Sache ganz anders aus. Frühmorgens klingelte das Telefon, ein Mann, der sich als Mitarbeiter des Ordnungsamtes vorstellte, fragte seine Stieftochter nach seiner Ehefrau. Die war verreist - im Ermittlungsprotokoll fand Herr Kadir dies später als Indiz für das Führen einer »Scheinehe« wieder. Ermittler der Ausländerbehörde gaben sich an der Sprechanlage als Postangestellte aus. Beim Vermieter wurden Erkundigungen angestellt. Eine Nachbarin wurde befragt, ob sie ihn kennen würde. Die verneinte, wollte nicht über andere Hausbewohner ausgefragt werden. Im Protokoll wird später daraus, Kadir würde nicht im Haus wohnen. Zu allem Überfluß unterhielt er neben dem ehelichen Wohnsitz noch seine alte Studentenbude. Protokollvermerk: Zweitwohnsitz. Folge: Verdacht auf Scheinehe.

Mit solchen »Beweisketten« werden in vielen deutschen Großstädten binationale Ehepaare terrorisiert. Oft reichen schon zwei verschiedene Meldeadressen, ein größerer Altersunterschied oder gar das höhere Alter des weiblichen Ehepartners für den die Schnüffeleien auslösenden Anfangsverdacht. Zumeist setzt die Ausländerbehörde ihre Ermittler in Bewegung, wenn kurz vor Ablauf einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung oder eines Asylverfahrens geheiratet wird. »Ein häufiger Vorgang«, so Kadirs Frankfurter Rechtsanwalt (der ebenfalls anonym bleiben möchte), da sich viele Pärchen erst dann Gedanken über ihre Papiere machen würden. In seiner Kanzlei häufen sich Fälle von Klienten, denen aufgrund wachsweicher »Indizien« das Führen einer »Scheinehe« vorgeworfen wird und eine, so der amtliche Sprachgebrauch, »Ausreiseaufforderung in Verbindung mit einer Abschiebeandrohung« ins Haus flattert. Dann gilt das Ausländerrecht, die Beweislast ist de facto umgekehrt. Nicht der Ankläger, sondern der Beschuldigte hat nun seine Unschuld - in diesem Fall das Führen einer »richtigen« Ehe - nachzuweisen. Und die Zeit arbeitet gegen ihn. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat keine aufschiebende Wirkung. Wer meint, die beschriebenen Ermittlungen im Fall Kadir hielten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand, sieht sich getäuscht. Das erstinstanzliche Verfahren hat Kadir verloren. Seine Gerichts- und Anwaltskosten belaufen sich schon jetzt auf mehrere tausend Mark. Dennoch geht er in die nächste Runde - »Das ist mein Recht«. Seine sprachlichen und finanziellen Möglichkeiten lassen dies zu - doch nur wenige der Bespitzelten haben ähnlich gute Voraussetzungen.

Paare mit deutschen Pässen können heiraten, ohne getestet und über die eigene Motivlage ausgeforscht zu werden. Menschen ohne deutschen Paß hingegen heiraten Deutsche meist nur wegen des Aufenthaltstitels, so der staatliche Generalverdacht. »Eine eindeutige Diskriminierung von Ausländern. Mir ist kein Fall bekannt, in dem einem deutschen Paar eine Scheinehe vorgeworfen worden wäre, obwohl dies formalrechtlich möglich ist«, so der Anwalt.

Trotz aller Zugeständnisse gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften werden Eheschließungen weiterhin vom Staat gefördert, Ehe und Familie sind Kernelemente bürgerlicher Ideologie. Nicht so, wenn ein Partner aus einem Nicht-EU-Land kommt. Dann gleichen Eheschließung und erste Ehejahre eher einem Hindernislauf. In Verwaltungsvorschriften zum Personenstandsgesetz wird dies feinsinnig mit »wichtigen Zielen staatlichen Handelns« wie dem übergeordneten staatlichen Interesse an der »Beendigung des Aufenthalts von Ausländern, die sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten«, begründet. Eine »Versorgungsehe« ist demnach zwar auch »rechtsmißbräuchlich«, dient aber eben nur persönlichen Vorteilen.

Waren schon bisher Eheschließungen mit Partnern von außerhalb der EU mit langwierigen bürokratischen Prozeduren verbunden - die Beibringung eines sogenannten Ehefähigkeitszeugnisses, Kerndokument der Heiratsbürokratie, braucht in vielen Staaten Monate - so ist seit Juli 1998 jeder Standesbeamte verpflichtet, sich an einer offenkundigen Scheinehe nicht zu beteiligen und angehalten, in dieser Frage aktiv zu ermitteln. Schon bei ersten Terminen auf dem Standesamt soll das Paar in Augenschein genommen werden.

»Keine Blickkontakte« zwischen den Verlobten nähren laut bayrischer Verwaltungsvorschrift schon einen Anfangsverdacht auf eine geplante Scheinehe. Sodann sollen die Partner auch einzeln befragt werden. »Kenntnisse über denkwürdige Ereignisse aus dem Lebenslauf des anderen Verlobten (z. B. Schulabschluß, Vertreibung, Verfolgung, Folter, Flucht)« sind dann beispielsweise von staatlichem Interesse. »Fest steht, daß bei Ehen, die nur zum Schein, insbesondere zur Umgehung ausländerrechtlicher Vorschriften eingegangen werden sollen, das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit mißbraucht wird. Mit solchen Scheinehen wird die Ehe als Grundwert verhöhnt«, so der christsoziale bayerische Innenminister Günther Beckstein.

Ist die Hürde Standesamt dennoch genommen, fangen die Probleme häufig erst an. Finden die Ehepartner etwa nicht gleich eine gemeinsame Wohnung, wird rasch unterstellt: Scheinehe. Wer im Raster der Ausländerbehörden hängenbleibt, muß sich dann erneut inquisitorischen Fragestellungen unterziehen: »Welche Farbe haben Ihre Fliesen im Bad?«; »Wo haben Sie Ihre Ehepartnerin kennengelernt?«; »Welches Shampoo benutzt Ihr Partner?« - Fragen, die manchen Ehemann komplett überfordern würden, sind bei den Ausländerbehörden üblich. Neben forschen Auftritten auch bei Hausbesuchen, wenn der städtische Mitarbeiter schon mal mit der Tür ins Haus fällt, beweisen einige Fahnder auch mehr Fingerspitzengefühl: Die arglose Ehefrau unterhält sich mit dem netten städtischen Mitarbeiter, als der er sich vorgestellt hat, über dies und jenes. Der will zum Schluß nur noch kurz einen Blick ins Bad werfen, wo prompt kein Rasierzeug zu finden ist. »(...) daß mit Einsatzbereitschaft und verwaltungsuntypischen Mitteln die Ausländerbehörden nicht von vornherein auf verlorenen Posten stehen«, wird denn auch ein Weiterbildungsseminar für Mitarbeiter von Ausländerbehörden zum Thema beworben.

»Taktische Varianten bei der Wahrnehmung des Außendienstes« und der »Aufbau eines Informationsnetzes« sind Schulungsschwerpunkte.

»Vielen wird erst hier in der Beratung klar, daß sie zu Hause mit einem Vertreter der Behörde gesprochen haben, der über ihren Aufenthaltsstatus zu entscheiden hat«, berichtet Hiltrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Von den knapp 60 000 binationalen Eheschließungen im Jahr geraten besonders die ins Visier der Behörden, die mit einem Partner aus einem Nicht-EU-Land geschlossen werden.

Über das hinter all den Nachforschungen der Behörden stehende Bild, was denn nun eine »richtige Ehe« ausmacht, kann sich Halit Kadir nur wundern. »Was wollen die überhaupt von uns, wir führen eine ganz normale Ehe. Meine Frau ist doch nicht meine Aktentasche, die ich immer bei mir habe ... Wenn auch die Leute sagen, daß wir hier eine so moderne Demokratie haben, ich zeige ihnen gerne meine Unterlagen - das ist keine Demokratie«.

Klaus Teichmann

* Name von der Redaktion geändert