Giessener Anzeiger, 30.11.2000

Kinderangst vor Militär und Polizei

Kurdischer Psychologie trug in Gießen Ergebnisse von Befragungsprojekt in Kurdistan vor

GIESSEN (fal). Ilhan Kizilhan, kurdischer Abstammung und Psychologe aus Freiburg, erforschte vor Ort die Wirkungen der Auseinandersetzungen zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und den türkischen Militärs von 1997 und 1998, auf Kinder. Er trug in Gießen seine Beobachtungen aus seinem Buch "Zwischen Angst und Aggression - Kinder im Krieg" vor. Die Veranstaltung, zu der Miktat Tuncay, Vorsitzender der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft, das Kulturamt und der Ausländerbeirat der Stadt Gießen, der Verein "Partnerschaft 3. Welt e.V." und die Justus-Liebig-Universität einluden, richtete sich auch an hiesige Erzieher und Schulleiter, die täglich mit kriegstraumatisierten Flüchtlingskindern zu tun haben.

Mehmet Tanriverdi, stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft, der die Diskussion leitete, hieß die Besucher im Georg-Büchner-Saal der alten Universitätsbibliothek willkommen. Kizilhan befragte 232 Kinder von 9 bis 14 Jahren in den unmittelbar vom Konflikt betroffenen Regionen. Dabei wurde sowohl qualitativ mit Tonbandaufnahmen, als auch quantitativ mit skalierbaren Antworten vorgegangen. "Wir mussten die 122 Fragen auswendig lernen, um mit den Antwortbögen, auf denen nur Nummern standen, die Militärkontrollen passieren zu können", schildert Kizilhan die schwierigen Arbeitsbedingungen. Die Kassettenaufnahmen wurden meist mit internationalen Hilfskonvois aus den Krisengebieten gebracht. Kizilhan fragte nach den Ängsten und Wünschen der durch die kriegerischen Auseinandersetzung geprägten Kinder.

Seine Antworten, oft in Zitatform vorgetragen, ergriffen die Anwesenden. Auf die Frage, vor wem die Kinder Angst hätten, antwortete ein großer Teil " vor dem Militär und der Polizei". Immer wieder, so Kizilhan, zeigte sich, daß die Kinder ein vergleichsweise kleines Allgemeinwissen haben, aber dafür ein großes kriegsspezifisches Wissen vorweisen. Auch Spiele beschäftigten sich zunehmend mit den im Alltag erlebten Konflikten. Die Besucher, darunter ein ehemaliger Lehrer aus Kurdistan, bestätigten die Ergebnisse. Von Seiten deutscher Erzieher wurde der Wunsch aufgeworfen, traumatisierte Kriegskinder begleitend zum Unterricht psychologisch zu betreuen, da viele Pädagogen damit überfordert seien.