Berliner Zeitung, 29.11.2000

Unionskrach über künftige Asylpolitik

Merkel und Glos geraten in der Fraktion aneinander

Matthias Krupa

BERLIN, 28. November. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist ein offener Streit über den künftigen Kurs der Union in der Einwanderungspolitik ausgebrochen. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe Michael Glos und CDU-Chefin Angela Merkel gerieten am Montagabend in der Fraktion aneinander, nachdem Glos den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) wegen dessen Äußerungen zum Asylrecht angegriffen hatte. Merkel verteidigte daraufhin Müller, der Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission ist. Teilnehmer der Fraktionssitzung sprachen von einer heftigen Auseinandersetzung.

Müller hatte sich in der vergangenen Woche den Unmut der CSU zugezogen, weil er Zweifel an der Notwendigkeit einer erneuten Änderung des Grundrechts auf Asyl geäußert hatte. Darüber hinaus hatte der Saarländer in einem Interview angedeutet, dass die CDU einem Einwanderungsgesetz möglicherweise auch ohne eine Einigung mit der CSU zustimmen könnte. Wörtlich hatte Müller gesagt, es sei zwar "wünschenswert, dass CDU und CSU gemeinsam handeln. Es ist aber auch nicht der Untergang des Abendlandes, wenn dies bei einzelnen Fragen nicht der Fall ist."

"Aufstrebender Jungstaatsmann"

Glos warf dem CDU-Ministerpräsidenten daraufhin in der Fraktion vor, dass er sich nicht an Absprachen halten und sich auf Kosten der CSU profilieren würde. Müller sei ein "aufstrebender Jungstaatsmann", der an keinem Mikrofon vorbeigehen könne, ohne sich zu äußern. Mehrere Abgeordnete unterstützten Glos' Kritik, unter ihnen der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Rupert Scholz, und Volker Kauder aus Baden-Württemberg (beide CDU). Kauder sagte, Müllers Einlassungen könnten die Erfolgsaussichten der CDU bei der bevorstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg beeinträchtigen.

Daraufhin meldete sich die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zu Wort. Müllers Äußerungen zum Asylrecht entsprächen der Beschlusslage der CDU, erklärte sie. Im Übrigen sei Müller ein erfolgreicher Ministerpräsident, der die Wahl im Saarland nicht auf Grund der Arbeit der Fraktion gewonnen habe. Merkel erinnerte daran, dass bei der Diskussion über ein NPD-Verbot nicht nur Müller, sondern auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Bundesrat gegen den Vorschlag Bayerns gestimmt habe. Teilnehmer der Sitzung werteten Merkels Rede als Warnung an die konservativen Kräfte in der Fraktion, den Bogen nicht zu überspannen. Ihr Auftritt sei "sehr selbstbewusst" gewesen. Der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz griff nicht in die Auseinandersetzung ein.

Ohne Müller namentlich zu erwähnen, wiederholte Glos am Dienstag vor Journalisten seine Vorwürfe. "Im Saarland hat man immer große Chancen, wenn man gegen die im Reich ist", sagte der CSU-Politiker und forderte im Zusammenhang mit der Diskussion über das Asylrecht mehr Selbstdisziplin in den Reihen der Union.