Frankfurter Rundschau, 29.11.2000

Machtprobe in der Knesset

Israels Opposition bestand auf Abstimmung über Neuwahlen

Von Inge Günther

(Jerusalem) Die israelische Opposition hat am Dienstag einen letzten Appell von Ministerpräsident Ehud Barak zur Bildung einer Notstandsregierung zurückgewiesen. Stattdessen sollten am Abend auf Antrag des Likud-Blocks in erster Lesung frühzeitige Neuwahlen von Parlament und Regierungschef beschlossen werden.

Erklärtes Ziel der rechtslastigen Opposition in Israel ist es, den Sturz der Regierung Ehud Baraks zu forcieren. Denn die handhabt ihrer Meinung nach den Gewaltkonflikt mit den Palästinensern zu lasch. Doch die Niederlage, die dem Premier am Dienstag abend im Parlament beigebracht werden sollte, sollte zugleich dem Zweck dienen, eine große Koalition zu den Bedingungen von Likud-Chef Ariel Scharon zu erzwingen. Scharon jedenfalls glaubte sich schon vor der fraglichen Abstimmung in der Knesset in vorteilhafter Lage.

Zum einen, weil es ein Leichtes schien, für die erste Lesung des Gesetzes über Neuwahlen eine absolute Mehrheit mobilisieren zu können, wie Likud-Mann Silwan Schalom ein ums andere Mal versicherte. Zum anderen waren mit näher rückendem Votum die Sondierungsgespräche über die Bildung einer Einheitsregierung auf Hochtouren gekommen.

Vor allem Tommy Lapid, Chef der radikal-säkularen Schinui-Fraktion, bemühte sich um Vermittlung. Bis auf geringe Meinungsverschiedenheiten, zeigte er sich überzeugt, hätten Barak und Scharon seine Vorschläge "im Prinzip" gutgeheißen und sich bereits auf eine Fortsetzung der Verhandlungen verständigt.

Aussitzen freilich kann Barak - seit Juli ohne parlamentarische Mehrheit - den politischen Machtkampf nicht. Vor der Abstimmung am Abend war klar, ein erneuter von der Knesset verpasster Schlag würde Barak gänzlich zu Boden werfen. Umso hektischer versuchten Baraks Gefolgsleute, die drohende Niederlage mittels parlamentarischer Tricks abzubiegen. Der Premier wiederum warb in staatsmännischem Ton für eine Notstands-Regierung. "Abgeordnete, die in dieser Krisenlage Neuwahlen herbeiführen wollen, demonstrieren nationale Unverantwortlichkeit." Doch viele Israelis verlangen nach stabilem politischem Management. Zugleich halten Umfragen zufolge noch immer sechzig Prozent am Friedensprozess fest. Und den stützt in der Knesset nur eine politische Minderheit.

Aus diesem Dilemma soll nach Vorstellung Baraks jetzt ein dritter Weg führen. Einem Bericht der Zeitung Haaretz zufolge peilt er ein langfristiges Interimsabkommen an, das den Palästinensern die Deklaration ihres eigenen Staates erlauben und ihnen einen dritten israelischen Teilabzug aus ihren Gebieten bringen würde, ergänzt um eine Räumung isolierter Siedlungen in Gaza und Westbank.

Dies wäre eine deutliche Kurskorrektur. Baraks bisheriges Ziel war es, den Konflikt mit den Palästinensern ein für alle Mal zu beenden. Scharons Wünschen dürfte das entgegen kommen. Zweifelhaft ist nur, ob Palästinenser-Präsident Yassir Arafat mitspielt.