Die Presse (A), 29.11.2000

Die Mühen der Ebene

EU-Staaten ringen mit Asyl und Einwanderung Unterschiede in den Rechtssystemen sind schuld, daß selbst dringende Fragen wie der gemeinsame Kampf gegen Schlepper nur langsam weiter kommen.

Von unserer Korrespondentin Doris Kraus

BRÜSSEL. Legale und illegale Einwanderung, Asylfragen und Schlepperunwesen - diese Themen werden in den nächsten Jahren dafür sorgen, daß die politischen Mühlen der Europäischen Union nicht zum Stillstand kommen. Obwohl es bereits zahlreiche Grundsatzbeschlüsse zu diesen Fragen gibt, kommt die Harmonisierung etwa im Vergleich zum Aufbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik allerdings nur langsam vorwärts. Der Grund: die unterschiedlichen Rechtssysteme der einzelnen Mitgliedsländer machen die Einigung auf gemeinsame Bestimmungen in fast allen Fällen zu einem juristischen Spießrutenlauf. Ein Beispiel dafür ist der Kampf der EU gegen das Schlepperunwesen, dem sich die Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten morgen, Donnerstag, wieder einmal widmen werden. Die Zurückdrängung der illegalen Einwanderung ist eine von zwei Säulen, auf denen die künftige "gemeinsame Immigrationspolitik" der Union ruhen soll. Die zweite ist eine geregelte legale Einwanderung, die dem bisherigen Credo der "Null-Zuwanderung" abschwört und die Lücken auf dem europäischen Arbeitsmarkt mit Fachkräften aus Drittstaaten stopft. Das Schlepper-Unwesen beschäftigt normalerweise nur die Grenzbeamten der EU, eroberte vor sechs Monaten aber auch das Scheinwerferlicht bei einem EU-Gipfel. Auslöser waren die Leichen von 58 illegalen Einwanderern, die im Hafen von Dover aus einem Container geholt wurden. Sechs Monate später kommt es jetzt einmal zu einer Orientierungsdebatte über dieses Thema. Daß man in diplomatischen Kreisen der Meinung ist, hier ungewöhnlich schnell gehandelt zu haben, zeigt, welches Tempo man in Asyl- und Einwanderungsfragen in der EU normalerweise gewöhnt ist. Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, die Strafen gegen Schlepper zu harmonisieren und eine Mindesthöchststrafe von acht Jahren festzusetzen. Dies soll auf jeden Fall für Schleuser gelten, die mit dem Schleppen Geld verdienen. Großbritannien, Frankreich, Deutschland und auch Österreich sind eher für strenge Strafen, die skandinavischen Länder reagierten bisher zurückhaltend. Ob jede Beihilfe zur illegalen Einwanderung bestraft wird - auch jene aus humanitären Gründen - ist noch offen. Ähnlich problematisch verhält es sich mit den Strafen für Beförderungsunternehmen, die "blinde Passagiere" transportieren. Zwar haben alle Mitgliedsländer hier ihre eigenen Bußgeldvorschriften, doch ist man bisher an der Hürde der Harmonisierung gestrauchelt. Während die Mehrheit der EU-Staaten eine Strafe von 5000 Euro (68.800 Schilling) pro illegal transportierter Person kassieren will, kennt man in den nordischen Staaten nur das Prinzip, das "Vehikel" zu sanktionieren. "Das Problem ist hier, wie in vielen anderen Fällen auch, daß die Rädchen in den nationalen Rechtssystemen nahtlos ineinandergreifen, daß man aber alles aus dem Tritt bringt, wenn man eine neue Maßnahme auf EU-Ebene beschließt", meint ein EU-Diplomat.

Schengen für (fast) alle Die EU-Innenminister werden am Donnerstag auch den Kreis der "Schengen-Staaten" erweitern, in die man ohne Paß reisen kann - und zwar um Schweden, Dänemark, Finnland sowie die beiden Nicht-EU-Mitglieder Norwegen und Island. Mit letzteren beiden wurde ein Sonderabkommen geschlossen, um den Fortbestand der Nordischen Paßunion zu garantieren. Ab 1. Jänner 2001 läuft der Probebetrieb des Schengen-Informationssystems, ab 25. März 2001 sollen alle voll dabei sein. Großbritannien und Irland sind damit die einzigen beiden EU-Staaten, die nicht an Schengen teilnehmen.