junge Welt, 29.11.2000

Apothekerkrieg Ost-West?

Sachsens derzeit brisantester Kriminalfall sorgt nicht nur in Sebnitz weiter für Aufregung

Der Fall des sechsjährigen Joseph Abdulla, der vor fast dreieinhalb Jahren in der Kreisstadt Sebnitz ums Leben kam, sorgt über die Grenzen der ostsächsischen Region hinaus weiter für Aufregung. Am Dienstag beschäftigte sich unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf auch das Landeskabinett in Dresden damit. Justizminister Manfred Kolbe wehrt sich gegen den Vorwurf, daß die Behörden des Freistaates unprofessionell ermittelt hätten. Und ergänzt: »Die Ermittlungen sind schon weiter, als man das aus ermittlungstaktischen Gründen bekanntgeben kann.« Der Sebnitzer Bürgermeister Mike Ruckh beklagte erneut den Schaden für Tourismus wie Wirtschaft und erneuerte seine Bitte an die Medien, die Stadt nicht in Sippenhaft zu nehmen. Am Vortag hatte er die aus der Untersuchungshaft freigelassenen bisherigen drei Tatverdächtigen im Rathaus empfangen, obwohl laut Staatsanwaltschaft weiter gegen sie ermittelt wird.

Unterdessen ist die seit Tagen geschlossene Center- Apotheke in der Sebnitzer Rosenstraße, deren Inhaber, die Eltern des toten Jungen, via Bild-Zeitung die Wiederaufnahme der Ermittlungen in Gang gesetzt hatten, unter Polizeischutz gestellt: eine Reaktion auf verschiedene, bis hin zum Mord reichende Drohungen gegen die Familie. Das gesamte Areal um das Fachwerkhaus ist mit Schutzgittern abgeriegelt. Auf dem nahen Markt und in den Seitenstraßen patrouillieren Beamte. Insgesamt sind 130 Polizisten im Einsatz - die eben erst berufene 30köpfige Dresdner Sonderkommission nicht mitgerechnet. Doch auch die »vormals Beschuldigten«, so Dresdens Polizeichef Eberhard Pilz, genießen inzwischen Schutz.

Renate Kantelberg-Abdulla und ihr Mann Saad, die 1995 aus Mönchengladbach nach Sebnitz kamen, haben sich nicht nur Freunde gemacht in der 10 000-Einwohner-Stadt. Die beiden heute 48jährigen hatten gemeinsam in Marburg studiert und promoviert, waren dann in den Irak, die Heimat des Ehemannes, der inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, gegangen und Mitte der 80er Jahre in die BRD zurückgekehrt. In einer Stadt, die zu DDR-Zeiten rund 15 000 Einwohner zählte und die nun mit einer im BRD-Durchschnitt überproportional hohen Arbeitslosenquote von 17 Prozent zu Buche steht, war solcher Zuzug aus dem Westen möglicherweise nicht gern gesehen.

Hinzu kam, daß es in der Stadt mit der Marien- und der Hirsch-Apotheke bereits einen alteingesessenen und einen in der Nachwendezeit hinzugekommenen Pharmazeuten gab. Daß Konkurrenz das Geschäft belebt, stimmt schließlich in der »freien Marktwirtschaft« immer nur dann, wenn man nicht selbst davon betroffen ist. Zumal die Neu-Sebnitzer ihr Geschäft auch mit stattlich-staatlichen Existenzgründerfördermitteln einrichten konnten. »Es gibt Nachforschungen«, so berichtet die Sächsische Zeitung am Dienstag, »die den Schluß zulassen, daß Mediziner die alteingesessenen Apotheken der neuen vorzogen. Es gab Anzeigen wegen Rezeptbetruges, in den Ärzte und Apotheker verwickelt sein sollen«.

Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum noch, daß Saad Abdulla gegenüber dem sächsischen Ministerpräsidenten ausländerfeindliche Motive für zweitrangig hielt und vielmehr auf »Korruption zwischen Ärzten und Apothekern« verwies. Gegenüber Reportern erwähnte Dr. Abdulla auch Boykottversuche, nicht zuletzt seitens des Kreiskrankenhauses, wo Ärzte Medikamente selbst verkauft haben sollen, statt Rezepte auszustellen. In dieser Angelegenheit hatte er auch schon Detektive eingeschaltet und Anzeigen erstattet. Entsprechende Vorwürfe seien bereits 1998 in einer nichtöffentlichen Sitzung des Kreistages Sächsische Schweiz zur Sprache gekommen, in der es auch um den geplanten Verkauf der Klinik an eine private Betreibergesellschaft ging, an der die unter Verdacht geratenen Ärzte beteiligt sein sollten. Ob es jedoch einen Zusammenhang zwischen diesen Tatsachen, dem inzwischen bereits so genannten »Apothekerkrieg« und dem tödlichen Geschehen am 13. Juni 1997 im Sebnitzer »Dr.-Petzold-Bad« gibt, ist offen. Fakt ist, daß der Besitzer der Hirsch-Apotheke nicht nur als CDU-Stadtrat der SPD-Stadträtin Dr. Renate Kantelberg im Rathaus gegenübersitzt, sondern dessen 20jährige Tochter Uta zu den drei bisher Tatverdächtigen gehörte. Und: Am 9. Oktober dieses Jahres soll die Deutsche Apotheker- und Ärztebank der gestrigen Bild-Zeitung zufolge der Familie Kantelberg-Abdulla einen Kredit über 300 000 Mark gekündigt haben.

Peter Rau