Kölner Stadtanzeiger, 28.11.2000

Schwierige Aufgaben für die EU

Der Gipfel in Nizza muss den Weg zur Erweiterung ebnen

Von Horst Willi Schors

Wenn die EU es nicht schaffe, sich auf der Gipfel-Konferenz nächste Woche in Nizza "erweiterungsfähig" zu machen, kündigt der CSU-Europaabgeordnete Ingo Friedrich an, dann werde das Europa-Parlament die Ost-Erweiterung der Gemeinschaft blockieren. Die große Mehrheit des Parlaments sei dazu bereit, sagte der Parlamentarier, der seit 1979 Mitglied des Europa-Parlaments ist und heute als dessen Vize-Präsident fungiert.

Nach den Verträgen kann das Parlament mit Mehrheit den Beitritt eines neues Landes ablehnen. Friedrich hält diese Möglichkeit, die einem politischen Erdbeben gleichkäme, für durchaus realistisch. Die Aussichten für einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen in Nizza seien nämlich sehr "mager", findet Friedrich und fordert darum jetzt schon eine neue Regierungskonferenz, die dann gleich nach dem Nizza-Gipfel ausgerufen werden müsste. Er kritisiert die französische Präsidentschaft, die durch die herrschende "Kohabitation" - Präsident und Premierminister gehören nicht der gleichen Partei an - in der Arbeit behindert sei. Paris habe bisher reichlich Sand ins Getriebe gestreut. Außerdem habe Bundeskanzler Schröder es versäumt, den Nizza-Gipfel rechtzeitig zur "Chefsache" zu erklären. Noch immer fänden die Verhandlungen nur auf Beamten-Ebene statt, die Positionen seien noch sehr weit voneinander entfernt. Das "bedrohliche Zusammentreffen" dieser beiden Entwicklungen lasse für den Gipfel nichts Gutes erwarten.

Tatsächlich herrscht in der EU Einigkeit darüber, dass vier Probleme gelöst werden müssen, damit die EU - zumindest bei ihren hoch-komplizierten Entscheidungsstrukturen - einigermaßen fit für die nächste Erweiterungsrunde werde: Größe und Zusammensetzung der Kommission, Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, Stimmengewichtung im Ministerrat, verstärkte Zusammenarbeit zwischen einer Gruppe von Ländern innerhalb der EU.

Friedrich und Teile der konservativen Fraktion im Europa-Parlament fordern zudem vehement eine schriftlich fixierte Kompetenzabgrenzung zwischen dem, was Europa, die Nationen und die Regionen entscheiden dürfen oder sollen. Dies sei die überfällige praktische Ausgestaltung der schon lange diskutierten Subsidiaritäts-Forderung, nach der die möglichst niedrige Ebene entscheiden soll, erklärt Friedrich, der zumindest in dieser Frage mit seinem Parteivorsitzenden Edmund Stoiber völlig einig ist. Nun laufen die Verhandlungen vor dem Gipfeltreffen freilich viel intensiver, als es der Oppositions-Politiker Friedrich zugestehen will.

Deutschland möchte sein Stimmengewicht im Ministerrat erhöhen und verweist darum immer wieder auf seine gewachsene Bevölkerungszahl. Im Kanzleramt favorisiert man das Prinzip der "doppelten Mehrheit", wonach nicht nur die Stimmen im Ministerrat (bei denen die kleinen Länder stark überrepräsentiert sind), sondern auch die Größe der Bevölkerung eine Rolle spielt. Dann möchten auch die Deutschen eine weitere Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, wollen aber bei wichtigen Fragen doch ein Veto-Recht behalten, so etwa bei der Asyl- und Einwanderungspolitik.

Aber auch die anderen 14 EU-Länder haben ihre Wünsche. Die in eine politische Balance zu bringen ist nun die Aufgabe von Frankreichs Präsident Chirac, der in dieser Woche die europäischen Regierungschefs zu Vorgesprächen besucht. Am Samstag ist er zu Gast in Hannover bei Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das Kompromisspaket, bei dem Zumutungen und Belohnungen gleichmäßig verteilt werden, wird dann vermutlich erst in einer langen Nacht des Gipfeltreffens endgültig geschnürt werden.