Frankfurter Rundschau, 28.11.2000

Ogata fordert Schutz des Grundrechts auf Asyl

UN-Hochkommissarin warnt EU-Staaten vor Abschottung und Kürzungen der Flüchtlingshilfe

Von Karl-Heinz Baum

BERLIN, 27. November. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat Vorschlägen, das Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz abzuschaffen, am Montag in Berlin eine Absage erteilt. "Ich gehöre nicht zu den Anhängern dieser Idee", sagte er vor Journalisten, als er zusammen mit der UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata, die deutschsprachige Ausgabe des UN-Flüchtlingsreports vorstellte.

Immer mehr Menschen müssten vor politischer oder religiöser Verfolgung, vor Kriegen oder Armut fliehen, so Thierse. Basis der Asylpolitik müsse die UN-Flüchtlingskonvention sein. Der Bundestagspräsident warnte vor nationalen Scheuklappen und setzte sich für eine einheitliche europäische Flüchtlingspolitik ein. Ogata, die nach zehn Jahren ihr Amt zum Jahreswechsel aufgibt, nannte das Recht auf Asyl das wichtigste Instrument, um Flüchtlinge zu schützen. Sie und Thierse setzten sich dafür ein, verstärkt die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu bekämpfen.

Die UN-Hochkommissarin bemängelte, dass die in den vergangenen Jahren von vielen Regierungen beschlossenen Zugangsbeschränkungen nicht nur Arbeits-Migranten, sondern ebenso schutzbedürftige Flüchtlinge träfen. Diese Politik habe die Betroffenen in die Arme von Menschenschmugglern getrieben. Das führe dazu,m "dass Asylsuchende mehr und mehr als Kriminelle angesehen werden".

Ogata forderte die Europäische Kommission und europäische Staaten, "auch Deutschland", auf, ihre Beiträge für die Arbeit des Hochkommissariats nicht zu kürzen. Jedes Land sollte das multinationale humanitäre Handeln für Flüchtlinge und Vertriebene nach seiner politischen und wirtschaftlichen Stellung in der Weltgemeinschaft unterstützen. Über rechtsradikale Anschläge auf Asylbewerber in Deutschland ist Ogata besorgt, erkennt aber an, dass die Bundesregierung solche Angriffe nicht hinnehme. Sie würdigte, dass Deutschland fast 350 000 Bosnienflüchtlinge aufgenommen habe.

Der UN-Report "Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt. 50 Jahre humanitärer Einsatz" soll nach Ogatas Worten dazu beitragen, die weltweite Flüchtlingsproblematik "breiteren Kreisen der deutschen Bevölkerung vor Augen zu führen und Verständnis für ihr Schicksal zu wecken". Sie rief die internationale Gemeinschaft auf, der Militarisierung von Flüchtlingslagern entschieden entgegenzuwirken. Die Präsenz bewaffneter Gruppen in den Lagern erhöhe für Zivilisten und Helfer das Risiko, warnte sie.