taz, 27.11.2000

"Keinen geringeren Asylschutz"

Daniel Cohn-Bendit, EU-Abgeordneter der französischen Grünen, fordert, für ein europäisches Asylrecht notfalls auf den umstrittenen Artikel 16 zu verzichten. Dieser sei deutsches Sonderrecht und deshalb in der EU kaum mehrheitsfähig

Interview EBERHARD SEIDEL

taz: Ebenso wie der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber und Bundesinnenminister Otto Schily fordern Sie, das Grundrecht auf Asyl zu Gunsten einer institutionellen Garantie abzuschaffen. Bereiten sie Ihren Parteiwechsel vor?

Daniel Cohn-Bendit: Sie sind ja niedlich. Ich fordere gar nichts. Ich mache nur darauf aufmerksam: Wer Europa sagt und will, der muss sich bewusst sein, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Wenn man wie ich für die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in den europäischen Entscheidungen ist und für Mehrheitsentscheidungen plädiert, dann bedeutet das auch, dass in Einwanderungsfragen zukünftig nicht mehr die Sicht der Innenminister übernommen werden und in den Fragen des Asyls nicht mehr die Logik der einzelnen EU-Mitgliedsländer gelten kann.

Sie wissen sehr genau, dass das individuell einklagbare Recht auf Asyl ein spezifisch deutsches Recht ist. Es gründet auf den Erfahrungen des Nationalsozialismus und wird niemals von den anderen europäischen Staaten übernommen werden. Also lautet Ihre Forderung doch, dass Artikel 16 weg muss.

Es wäre schade, wenn sich die Debatte nun ausschließlich auf das Asyl konzentrieren würde. Alles, was die europäische Kommission zur Einwanderung, zum Familiennachzug, zur multikulturellen Gesellschaft sagt, geht viel weiter geht als das, was jemals in Deutschland diskutiert wurde.

Das mag sein. Aber in keiner anderen Frage schlagen die Emotionen so hoch wie beim Asylrecht.

Eine Diskussion über die Abschaffung des Artikels 16 bedeutet nicht automatisch, dass die Möglichkeiten, Asyl zu gewähren, reduziert werden. In Frankreich erhalten Kurden und von Fundamentalisten verfolgte Algerier viel einfacher Asyl als in Deutschland.

Es gibt in Deutschland unterschiedliche Lager mit sehr widersprüchlichen Positionen zum Artikel 16. Die CSU und große Teile der CDU sagen, wir wollen Artikel 16 verändern, sind aber nicht bereit, über die Europäisierung der Asylpolitik zu reden. Die Grünen sagen, wir sind für die Europäisierung von Einwanderungs- und Asylrecht, sind aber nicht bereit für die Konsequenzen.

Für weniger Rechte von Flüchtlingen?

Ich will keinen geringeren Asylschutz. Ich will, dass das Europäische definiert wird und diese europäische Definition des Asylrechts in die europäische Grundrechtscharta verankert wird. Die Deutschen sollen ihre historische Erfahrung in die Debatte einbringen. Aber sie müssen sich darauf einstellen, dass die Begründung von Asyl zukünftig eine andere sein wird.

Wer soll diese Diskussion bei den Grünen denn mittragen?

Die sollen sich selbst outen. Alle, die in der letzten Zeit über die Europäisierung der Einwanderungspolitik geredet haben, müssen ihre Gedanken konsequent fortentwickeln. Europäisch definierte Politik muss auch dann durchgehalten werden, wenn es schwierig wird. Die positive deutsche antifaschistische Vergangenheitsbewältigung kann nicht europäische Leitkultur werden. Wir brauchen eine europäische humane, antitotalitäre Asylpolitik, und darin sollen die deutschen Erfahrungen eingebracht werden.