Der Spiegel 47/2000, 27.11.2000

A S Y L - D E B A T T E

"Europäische Lösung" statt Grundrecht?

Quer durch die Parteien wächst der Ruf nach einer "Harmonisierung" des Asylrechts in Europa. Der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit fordert gar eine "europäische Verfassung".

Im Streit um Beibehaltung oder Abschaffung des deutschen Grundrechts auf Asyl wächst in fast allen Parteien der Ruf nach einer gemeinsamen europäischen Lösung für die Aufnahme von Flüchtlingen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sagte am Samstag im ZDF, Ziele der CDU-Zuwanderungskommission seien die Bekämpfung des Asylmissbrauchs, die Beschleunigung der Verfahren und eine Harmonisierung in Europa. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte sich wiederholt für eine Harmonsierung des europäischen Asylrechts ausgesprochen. Cohn-Bendit: "Auch, wenn das meinen Freunden bei den deutschen Grünen nicht gefallen dürfte..."

Der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit geht noch weiter: Er sprach sich für eine "europäische Verfassung" aus. Diese müsse bis spätestens 2005 geschaffen werden, sagte Cohn-Bendit. Dabei solle jeder Staat "seine Bevölkerung um Zustimmung zur EU-Verfassung bitten", forderte der Grüne.

Die EU drohe im Zuge ihrer Osterweiterung zur "Freihandelszone" zu degenerieren, meinte Cohn-Bendit. Um dies zu verhindern, seien "handlungsfähige Institutionen mit einem starken Parlament" notwendig.

Cohn-Bendit, der für die französischen Grünen im EU- Parlament sitzt, sprach sich insbesondere dafür aus, den Kommissionspräsidenten künftig direkt von den EU-Bürgern wählen zu lassen. Dann könne dieser "endlich auf Augenhöhe mit den Staats- und Regierungschefs verhandeln".

Cohn-Bendit plädierte weiter dafür, das Einstimmigkeitsprinzip im EU-Rat aufzugeben und Entscheidungen auf allen Gebieten künftig mit Mehrheitsbeschlüssen zu treffen. Dies gelte auch für die Asylpolitik. "Auch wenn das meinen Freunden bei den deutschen Grünen nicht gefallen dürfte. Denn das einklagbare Recht auf Asyl würde vielleicht einer institutionellen Garantie weichen." Eine europäische Harmonisierung brächte Einwanderern in Deutschland insgesamt aber Vorteile, "vor allem beim Familiennachzug", betonte Cohn-Bendit.

CDU/CSU: Streit der Schwesterparteien

Unterdessen hielt der Schlagabtausch vor allem unter CDU und CSU um das Asylrecht an. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) griff den Vorsitzenden der CDU-Zuwanderungskommission, Peter Müller, an. Der CSU-Politiker warf dem saarländischen Regierungschef vor, er schwanke in der Asylfrage "angesichts des rot-grünen Gegenwinds wie Schilfrohr".

Müller habe noch im April öffentlich erklärt, wenn man das Thema im Gesetz regeln wolle, "führt kein Weg daran vorbei, das Individualrecht auf Asyl in eine institutionelle Garantie umzuwandeln". Dabei müsse er bleiben, forderte Beckstein in der "Welt am Sonntag". Müller hatte in dieser Woche angekündigt, er wolle einem Einwanderungsgesetz im Bundesrat zustimmen - auch wenn sich die CSU und Bayern dagegenstemmen.

Gegen eine Vermischung von Asylrecht und Einwanderung wandte sich am Samstag CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. "Die politisch Verfolgten dürfen nicht auf eine Ausländerquote angerechnet werden, sondern politisch Verfolgte müssen, egal was passiert, Asyl finden", stellte Meyer im Nachrichtensender N24 klar.

Grüne an Unionsparteien: Schluss mit dem "Eiertanz"

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, rief die Union auf, endlich ihren "Eiertanz" beim Asylrecht zu beenden. Die Gewährung politischen Asyls sei das zu Verfassungsrecht gewordene "Nie wieder Auschwitz!", betonte Beck. Das Grundgesetz dürfe man nicht wie eine Loseblattsammlung behandeln.

Strikt gegen eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl wandte sich auch der Präsident des Bundesamtes für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Albert Schmid. Das Asylrecht sei kein Steuerungsinstrument für Zuwanderung, sagte er der "Rheinpfalz". Statt darüber nachzudenken, das individuelle Asylrecht abzuschaffen, sei in Deutschland eine Debatte über die zukünftige Migrationspolitik nötig.

Für das laufende Jahr rechnet Schmid damit, dass rund 80.000 Menschen einen Antrag auf Asyl stellen werden. Das wäre der niedrigste Wert seit 1987. Von Januar bis Oktober 2000 haben sich beim Bundesamt 64.743 Menschen auf das Grundrecht berufen. Schmid schätzt, dass sich die Zahl der Asylanträge bei jährlich etwa 80.000 einpendeln werde.