Tagesspiegel, 27.11.2000

Giyasettin Sayan

Ungewollte Reaktionen

Der PDS-Politiker wird bedroht, weil er sich für die armenische Minderheit in der Türkei einsetzte

Holger Stark

An einem Freitagabend im November klingelte bei Giyasettin Sayan das Telefon. Der Anrufer kam gleich zur Sache: Sayan solle aufhören, sich für die Armenier zu engagieren. Er wisse doch, was in der Türkei mit Politikern passiere, die sich gegen türkische Interessen stark gemacht hätten. Wenn er so weitermache, dann könne ihm dies auch geschehen. Ähnlich äußerte sich ein anonymer Anrufer drei Tage später. Seitdem hat Giyasettin Sayan, deutscher PDS-Abgeordneter kurdischer Herkunft, Angst. Dabei hatte er sich nur für die armenische Minderheit einsetzen wollen. Gemeinsam mit der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke hatte Sayan Mitte Oktober eine kleine Anfrage an Land und Bund gerichtet. Die PDS-Politiker wiesen darauf hin, dass in der Türkei ein Massaker an den Armeniern, bei dem 1915 rund eine Million Menschen getötet worden seien, noch immer abgestritten werde. Am 13. Oktober hatten in Berlin 3000 Türken gegen Kritik an dem Völkermord demonstriert. Sayan fragte, ob bekannt sei, inwieweit die Türkei türkische Vereine beeinflusse, um ihre Sichtweise im Armenien-Konflikt zu verbreiten?

Die Anfrage empörte und mobilisierte die türkischen Vereine in Berlin. 20 Vereinigungen und Verbände unterstützten umgehend eine Stellungnahme der Türkischen Gemeinde zu Berlin. Die in den Anfragen "implizierte Steuerung durch offizielle türkische Vertretungen" sei "eine erniedrigende Sichtweise der türkischen Vereine", schrieb die Gemeinde an alle Abgeordneten. Schließlich warf der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Sayan und Jelpke vor,ihr Verhalten zeuge von einer "antidemokratischen Gesinnung".

Fast zeitgleich erschien in der Zeitung "Türkiye" ein Artikel mit der Überschrift: "Die Arbeitsgemeinschaft der Verräter". In dem Text wird Giyasettin Sayan kritisiert, dass er in einer Kreuzberger Kirche eine Ausstellung der Armenischen Föderation eröffnet hatte. Auch die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg meldete sich zu Wort. Die Ausstellung werde von Türken als eine "große Beleidigung" angesehen. "Hinzu kommt ferner", so die türkisch-deutschen Unternehmer, "dass die laufende armenische Gemäldeausstellung in Kreuzberg als Provokation empfunden werden könnte und deshalb ungewollte Reaktionen auslösen könnte."

Ungewollte Reaktionen - um die zu vermeiden, will sich Sayan nun an die Polizei wenden. "Viele kritische Journalisten und Politiker, die in der Türkei öffentlich als Verräter bezeichnet wurden, sind anschließend spurlos verschwunden", sagt Sayan. Der PDS-Politiker ist in der türkischen Gemeinschaft aufgrund seiner Sympathien für die Kurden ohnehin unbeliebt. Ulla Jelpke, bei der zwar auch Protestanrufe, aber keine Drohungen eingingen, vermutet deshalb, dass Sayan "besonders wegen seiner kurdischen Herkunft bedroht wird".

Die Türkische Gemeinde weist hingegen sämtliche Vorwürfe zurück. "Wir treffen uns alle zwei oder drei Monate beim türkischen Konsul, um alltägliche Probleme zu besprechen", sagt ihr Vorsitzender Sabri Adak. Bei einem der Treffen beim Konsul sei auch die Demonstration zu Armenien besprochen worden. Dass der Konsul diese aber gesteuert habe, stimme nicht. Adak glaubt auch nicht, dass Sayan bedroht wird. "Das denkt er sich nur aus, um sich wichtig zu machen."