Berliner Morgenpost, 25.11.2000

«Es kann kein Denk- und Sprechverbot geben»

CDU-Bundesvize Christian Wulff über Asylrecht, Kanzlerkandidatur, Fremdenhass und Rechtsextremismus

Von Arne Delfs

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Christian Wulff führt in Niedersachsen die Landespartei und die Landtagsfraktion. Foto: Meldepress

Berliner Morgenpost: Herr Wulff, in der Frage des Asylrechts hat die Union noch keine einheitliche Linie gefunden. Was ist Ihre Position?

Christian Wulff: Die Regelung des Asylrechts im Rahmen der europäischen Harmonisierung gehört in den Aufgabenbereich der Zuwanderungskommission von Peter Müller und ist dort bestens aufgehoben. Ich habe 1992 die Position vertreten, dass eine Umwandlung des Asylrechts in eine institutionelle Garantie die europäische Rechtsangleichung erleichtert. Allerdings ist heute der Unterschied durch die Neufassung des Grundgesetz-Artikels 16a wesentlich entschärft. Am Recht auf Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention wird niemand rütteln.

Mit anderen Worten sind Sie gegen eine Umwandlung des Individualrechts auf Asyl in eine institutionelle Garantie.

Das muss die Kommissionsarbeit ergeben. In meinen Augen ist das ohnehin ein überzogener Streit, CDU und CSU sind sich im Ziel einig. Worauf viel stärker der Fokus gelenkt werden müsste, ist die Zahl der hier verbliebenen, bereits abgelehnten Asylbewerber und ihrer Angehörigen. Durch endlos lange Verfahren haben sich viele ein Bleiberecht eingehandelt, die uns sehr stark belasten. In klassischen Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien hat man die Erfahrung gemacht, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, Einwanderung zu bejahen, gerade darin begründet liegt, dass man das Ausländerrecht strikt anwendet. So werden in den USA abgelehnte Bewerber umgehend abschoben. Wenn man hier eine lange Verfahrensdauer toleriert, wie das in Deutschland der Fall ist, dann untergräbt man damit den Konsens in der Gesellschaft.

Sollte man also auch in Deutschland künftig sofort abschieben?

Ja, bei rechtskräftig abgelehnten Bewerbern, weil sonst das Verfahren ad absurdum geführt wird und die Möglichkeiten des Staates begrenzt werden, denen zu helfen, die Hilfe wirklich benötigen.

Ihre Aussage zum Asylrecht dürfte CSU-Chef Edmund Stoiber dennoch nicht erfreuen. Stoiber hat die CDU aufgefordert, getroffene Absprachen einzuhalten und gemeinsam für eine Grundgesetzänderung einzutreten.

In der Sache selbst habe ich großes Verständnis für diese Position. Aber dass man eine Position von 1992 im Jahr 2000 einfordern kann, wo wir gerade eine Kommission eingesetzt haben, halte ich nicht für zielführend. Die Sache liegt bei Peter Müller in guten Händen.

Herr Müller will einem Einwanderungsgesetz notfalls auch ohne die CSU zustimmen. Wäre damit so kurz vor der Bundestagswahl der Unionsfrieden nicht empfindlich gestört?

Ich bin überzeugt, dass es zu einer gemeinsamen Position von CDU und CSU kommen wird.

Aber selbst innerhalb der CDU herrscht keine Einigkeit. Fraktionschef Friedrich Merz plädiert ebenso wie Stoiber für eine Änderung des Asylrechts.

Es kann ja kein Denk- und Sprechverbot geben, während die Kommission arbeitet. Jeder von uns sagt seine persönliche Meinung und hat dennoch Respekt vor der Kommission.

Wird durch diese unionsinterne Debatte ein parteiübergreifender Konsens nicht verhindert?

Wenn sich Leute vorher eine Meinung gebildet haben, ist es hinterher einfacher aufeinander zuzugehen. Ich empfehle uns Gelassenheit bei der innerparteilichen Diskussion. Dafür sind die Unterschiede zu gering und die Gemeinsamkeiten zu groß. Unsere wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass wir das Asylrecht erhalten wollen und auf der anderen Seite den Missbrauch bekämpfen wollen. Das ist Konsens in der Union.

Wäre jetzt nicht ein klares Machtwort von Parteichefin Angela Merkel angebracht?

Wir sind eine lebendige Volkspartei. Dazu gehören Auseinandersetzungen auch über dieses wichtige Thema. Die gesamte Debatte über Zuwanderung und Integration wurde von uns besetzt. Hier hat die Opposition ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, mit dem die Regierung nicht zurechtkommt.

Was halten Sie von dem Vorschlag, Zuwanderer künftig auf die Verfassung zu vereidigen?

Ich bin sehr dafür, dass diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, verpflichtet werden, einen Eid zu leisten. In den USA legt man dazu die Hand aufs Herz. Das ist sehr vertrauenseinflößend. Das ist für ein Gemeinwesen eine gute Grundlage.

CSU-General Thomas Goppel hat die CDU davor gewarnt, sich voreilig auf Frau Merkel als Kanzlerkandidatin festzulegen. Ist die Entscheidung schon gefallen?

Dann wären wir mit dem Klammerbeutel gepudert. Wir sind uns alle einig, dass diese Entscheidung erst 2002 gefällt wird. Uns freut an der Debatte, dass mehrere Unionspolitiker absolut geeignet wären, wie etwa Angela Merkel, Edmund Stoiber, Friedrich Merz oder Horst Seehofer. Wir können hier aus einem vollen Reservoir auswählen. Und das werden wir tun, wenn es ansteht.

Stoiber hat bereits abgewinkt, Sie selbst gelten als Anhänger von Frau Merkel . . .

Ich habe mir noch keine intensiven Gedanken über den Kanzlerkandidaten der Union im Jahr 2002 gemacht. Ich würde fast sagen, die Betroffenen auch noch nicht abschließend. Ich halte Edmund Stoiber für einen unglaublich erfolgreichen Ministerpräsidenten in Deutschland, der es nach meiner Meinung am Ende gar nicht so darauf ankommen lassen kann, ob er will oder nicht. Am Ende muss die Union sagen, wer es machen soll. Und ich habe nach dem von mir bedauerten Rücktritt von Wolfgang Schäuble gesagt, dass Friedrich Merz der Beste für die Fraktion ist und Angela Merkel die Beste für die Partei. Ich habe inzwischen viel Rotwein darauf gewettet, dass die beiden sich da erfolgreich bewähren und durchsetzen werden und habe keinerlei Sorge, die Wetten zu verlieren.

Sie haben vorhin auch Herrn Seehofer genannt . . ..

Wegen der überragenden Bedeutung Horst Seehofers in der Bundestagsfraktion habe ich den Namen intuitiv genannt, aber ich will damit keine Debatte über weitere Namen in Gang bringen. Ich wollte nur darauf hinweisen, was für gute Leute wir haben.

Sie treffen die Entscheidung also - wie von Goppel gefordert - auf gleicher Augenhöhe mit der CSU.

Wenn wir 2002 gewinnen wollen, dann müssen wir großes Einvernehmen zwischen CSU und CDU herstellen.

Roland Koch wirft der Regierung und den Medien vor, das Thema Rechtsradikalismus zu dramatisieren. Sind Sie auch der Meinung, dass der Rechtsextremismus vorrangig ein virtuelles Problem ist?

An dieser Diskussion möchte ich mich nicht beteiligen. Ich leide darunter, dass es in Deutschland Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus gibt, der mit Fremdenhass und Fremdenfeindlichkeit verbunden ist und auch vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen nicht Halt macht. Das ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte eine Tragödie und es kann niemanden ruhen lassen. Da ist ein Extremist einer zu viel. Von daher muss gegen diese dummbatzigen Vorstellungen in aller Entschiedenheit und mit allen Mitteln vorgegangen werden. Wir müssen in diesen Bereichen den Werteverfall bekämpfen und stattdessen in Familien und Schulen Lebensperspektiven aufzeigen. Rechtsextremistischen Umtrieben muss konsequent die rote Karte gezeigt werden. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist es eine große Tragödie, dass es eine so große Anzahl Opfer rechtsextremistischer Umtriebe gibt. Ich hoffe, dass es zu weiteren machtvollen Kundgebungen kommt, bei denen die Gesellschaft zeigt, dass sie dies nicht einfach dulden und hinnehmen will.

Dieses Wochenende marschiert in Berlin direkt vor unserer Haustür wieder die NPD durch die Straßen. Der Senat sieht sich außerstande, die Demonstration zu verbieten. Frustriert Sie das nicht?

Das Bannmeilengesetz muss so gemacht werden, dass derartige Märsche nicht durchs Brandenburger Tor führen. Diese Frage muss sich Rot-Grün ständig neu stellen, die uns das eingebrockt haben. Zweitens muss es eine machtvolle Demonstration geben, wo friedliche Demokraten gegen Links- und Rechtsextremismus Flagge zeigen. Die Konzentration auf das NPD-Verbot halte ich dagegen für problematisch. Dies könnte leicht als Reinwaschung der Republikaner und der DVU missverstanden werden. Wir brauchen einen starken, wehrhaften Staat, der Übergriffe nicht zulässt und den Rechtsrahmen voll ausschöpft.

Sehen Sie eine rechtliche Handhabe, um eine solche Demonstration zu verhindern?

Das können nur die Innenminister entscheiden mit ihren Kenntnissen aus der Szene, mit ihren V-Männern, den Auswertungen der Flugblätter und der Demonstrationsaufrufe. Es ist in Deutschland vor dem Hintergrund der Geschichte und dem Vorgehen der Nationalsozialisten gegen andere Parteien eine hohe Schwelle eingebaut, Versammlungen, Demonstrationen oder Parteien zu verbieten. Das ist ein hohes Gut und setzt uns gewisse Begrenzungen. Ich hoffe, dass es andere Demonstrationen geben wird, die deutlich machen, was die Mehrheit denkt.