taz Berlin 25.11.2000

Grenzen der Verfolgung

beispiel kirchenasyl

Objektiv gesehen kann man die Fahndung der deutschen Polizei nach einem abgelehnten Asylbewerber nicht mit der Verfolgung vergleichen, die ein Kurde in der Türkei erleidet. Doch wie soll ein vom türkischen Staat gefolterter und traumatisierter Patient, dem akut die Abschiebung in das Land seiner Folterer droht, noch objektiv urteilen?

Kommentar von BARBARA JUNGE

Der lebensbedrohliche Fenstersturz von Davut K. ist deshalb kein Unfall. Denn die Polizei muss damit rechnen, dass ein Folteropfer - insbesondere wenn es trotz seiner Traumatisierung mit Abschiebung rechnen muss - eine erneute Verfolgung aus seinen Erfahrungen heraus interpretiert. Sie muss damit rechnen, dass das Folteropfer panisch reagiert.

Abgesehen von exterritorialem Gelände gibt es in diesem Land keinen rechtsfreien Raum. Eine Arztpraxis unterliegt dem Zugriffsrecht bundesdeutscher Behörden, auch der Polizei. Dies gilt auch für Praxen, in denen Folteropfer behandelt werden. Doch Recht ist nicht immer Gerechtigkeit.

Auch die deutsche behördliche Praxis kennt Ausnahmen. Selbst Kirchen stellen keine rechtsfreien Räume dar. Dennoch hält sich die Polizei zumeist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und solange das Kirchenasyl nach Einschätzung der Innenminister nicht überhand nimmt, respektiert die Polizei die Grenzen, die ihr eine Kirchentür setzt.

Der Anstand und die Achtung der Würde eines jeden Menschen müssten es der Polizei gebieten, selbiges für eine Therapeutenpraxis gelten zulassen, den Ort, der traumatisierten Flüchtlingen hilft, mit ihrer Foltererfahrung weiterzuleben. Wenn schon nicht die Gerichte willens und in der Lage sind, Folteropfer vor weiterer Verfolgung in ihren Herkunftsländern zu schützen, dann müsste zumindest ihre Behandlung hierzulande geschützt sein. Und würde die Behandlungstür eine Grenze für die Polizei.