Süddeutsche Zeitung, 24.11.2000

Israelis - als Araber getarnt

Baraks Elite-Soldaten tragen als verdeckte Kämpfer den Krieg in die Palästinensergebiete / Von Thorsten Schmitz

Noch während die Sanitäter schwer verletzte Menschen aus dem zerstörten Bus in der Küstenstadt Chadera befreien, weiß Israels Premierminister Ehud Barak bereits: Schuld an dem Bombenattentat vom Mittwochabend trägt Jassir Arafats Autonomiebehörde. Diese habe das Attentat erst ermöglicht, indem sie Hamas- und Dschihad-Terroristen aus palästinensischen Gefängnissen freiließ. Am Donnerstagmorgen, als Barak die Verletzten im Krankenhaus aufsucht, lässt der Premier am Bett einer alten Dame den General in sich sprechen: "Wir lassen uns nicht durch die Gewalt von Terroristen in die Knie zwingen. Wir wissen, wer hinter dem Anschlag steckt, und wir werden die Schuldigen finden.

Womöglich waren zu dieser Stunde die Männer von Baraks effektivster Geheimwaffe schon unterwegs im Westjordanland, das nur zehn Minuten mit dem Auto von Chadera entfernt beginnt und dessen Grenze trotz Abriegelung an vielen Stellen durchlässig ist: "Moustarabine" werden die Männer der Elite-Einheit auf arabisch genannt, salopp übersetzt: "Die, die sich als Araber ausgeben". Es sind Israelis, die Arabisch sprechen und sich als Araber tarnen. Sie mischen sich unter militante Demonstranten oder nehmen undercover in Ramallah die Palästinenser fest, die zwei israelische Soldaten gelyncht haben sollen.

In Israel gelten die Männer der drei Moustarabine-Einheiten als schlagkräftigste Truppe. Sie verfügen über ein Arsenal an palästinensischen Kleidern, Perückenund Make-up - und sie haben eine antrainierte Identität, sodass sie auf misstrauische Fragen nach Herkunft und Nachbarn nie ohne Antwort dastehen. In israelischen Sicherheitskreisen hält man angesichts der "Libanonisierung" der zweiten Intifada die Moustarabine für effektiver als Vergeltungsflüge von Kampfhubschraubern.

Ohnehin steckt Barak in einer Zwickmühle: Er macht es keinem Recht - nicht den Staatschefs der Welt und nicht seinem Volk, das seine Existenz bedroht sieht. Außenpolitisch steht Israel isoliert da wie zu Zeiten des Barak-Vorgängers Benjamin Netanjahu. Ägypten und Jordanien, bislang verlässliche Partner auf der Suche nach einem Frieden, ziehen ihre Botschafter aus Israel ab; die USA kritisieren erstmals die Unverhältnismäßigkeit der Mittel im Kampf Israels gegen die Palästinenser; UN-Generalsekretär Kofi Annan nimmt die Palästinenser in Schutz und antichambriert gegen Israels Willen für eine UN-Schutztruppe; mit jedem getöteten Palästinenser begibt sich Israel mehr in die außenpolitische Sackgasse.

Innenpolitisch steht Barak ebenfalls mit dem Rücken zur Wand. Sein autistischer Regierungsstil, der vier Regierungssprecher in den letzten vier Monaten zur Kündigung getrieben hat, lässt Barak als den einsamsten Premier Israels dastehen. Er hat keine politischen Freunde und keine Parlamentsmehrheit. Noch immer laboriert er an der Bildung einer Notstandsregierung herum, ohne dass diese in Sicht wäre. So schallt der Ruf nach Neuwahlen und einem starken Premier durchs Land. Manchem Israeli ist der Premier- und Verteidigungsminister zu weich. Auf einer Demonstration von jüdischen Siedlern und rechten Likud-Anhängern tönte es am Mittwochabend in Jerusalem: "Lass die Armee gewinnen!

Um des Friedens willen müsste Barak aberwitzige jüdische Siedlungen wie Kfar Darom in Gaza auflösen - sie sind Trutzburgen im Palästinensergebiet, die von Hunderten von Soldaten geschützt werden müssen. Gäbe Barak allerdings diese Siedlungen auf, hätte die Taktik der Palästinenser Erfolg: Man muss Israel nur lange genug einem zermürbendem Guerillakrieg aussetzen, bis es sich zurückzieht - siehe Libanon.

Die Neuauflage dieser Intifada unterscheidet sich zudem in einem wesentlichen Punkt: Zwischen 1987 und 1993 protestierten die Palästinenser fast nur mit Steinen, diesmal besitzen sie Waffen aus Ägypten und Jordanien. Und sie schicken Kinder und Jugendliche in die Auseinandersetzungen, die in den letzten fünf Jahren in Sommer-Camps in Gaza im Umgang mit Maschinengewehren und halbautomatischen Waffen trainiert wurden. Allein in diesem Sommer haben 20 000 Kinder und Jugendliche vier Wochen lang den Ernstfall geprobt. Der New York Times hatte der Fatah-Führer Marwan Bargouti im Juni noch erklärt, Israel brauche sich deshalb nicht zu fürchten.