Die Welt, 24.11.2000

Moskau will Waffen an Iran liefern

Kreml lobt positive Entwicklung - USA drohen Russland mit Sanktionen

Von Jens Hartmann

Moskau - Die russische Regierung will trotz möglicher Sanktionen der USA wieder Waffen an den Iran liefern. Wie die russische Nachrichtenagentur Interfax aus Kremlkreisen erfuhr, möchte Präsident Wladimir Putin das so genannte Gore-Tschernomyrdin-Memorandum von 1995 aufkündigen. Darin verpflichtete sich Moskau, keine neuen Waffenexportverträge mit Teheran zu vereinbaren und bis Ende 1999 alle bereits existierenden Lieferverträge zum Abschluss zu bringen. Im Gegenzug sagte Gore dem Kreml zu, keine Sanktionen gegen Russland wegen Verletzungen des Abkommens zur Nichtweiterverbreitung von Nukleartechnik zu verhängen. Aus dem Kreml verlautete, die politische Lage im Iran habe sich zum Positiven verändert, weshalb auch das Waffenembargo keine Berechtigung mehr habe. Interfax zufolge erwägt die amerikanische Präsidenten-Administration Sanktionen gegen Russland. "Moskau hat allen Grund, die Drohungen zu ignorieren", kommentierte die russische Internetzeitung www.smi.ru. "Die politische Lage in den Vereinigten Staaten ist so, dass wohl niemand eine Verschlechterung der Beziehungen zu Russland wegen Waffenlieferungen in den Iran anstrebt." Russlands Verteidigungsminister Igor Sergejew sagte, Russland werde keine Massenvernichtungswaffen an den Iran liefern. "Wir erfüllen alle internationalen Verpflichtungen." Die US-Administration sieht das anders. Wie die Zeitung "Iswestija" berichtete, warf US-Vizepräsident Al Gore bereits im September in einem 16 Seiten langen Brief Premierminister Michail Kassjanow vor, dass der Iran "bedeutende Hilfe von russischen Organisationen bei seiner Arbeit an Atomwaffen bekommt".

Wie aus Kreisen der russischen Rüstungsindustrie zu erfahren war, hat Moskau seine Verpflichtungen gegenüber dem Iran aus den Jahren 1989 bis 1991, Kampfjets, U-Boote, Raketenabwehrsysteme und Lizenzverträge für den Bau von Panzern zur Verfügung zu stellen, nicht im verabredeten Umfang erfüllt. Das solle nun nachgeholt werden. Teheran habe dazu Interesse an Waffentechnik im Wert von zwei Milliarden Dollar aus Moskau gezeigt.

Der Kreml und das Weiße Haus lagen, was die Zusammenarbeit mit dem Iran anbelangt, regelmäßig über Kreuz. So bauen russische Spezialisten am Atomkraftwerk Buschera im Iran mit. Der Bau soll bis 2003 abgeschlossen sein. Washington wirft in diesem Zusammenhang Moskau vor, Nukleartechnik, die auch für Atomwaffenprogramme von Nutzen sein kann, in den Iran zu exportieren.

Sieben Unternehmen und Bildungseinrichtungen stehen auf der schwarzen Liste von US-Präsident Bill Clinton, weil sie nach Auffassung der Amerikaner iranische Nuklearexperten mit Raketen-Knowhow versorgten. Russische Behörden reagieren besonders lax bei Exportgenehmigungen für sogenannte Dual-use-Güter, lautet ein Vorwurf aus Washington.

Russlands neues Iran-Engagement ist im Zusammenhang mit der Ausweitung der Waffenexporte zu sehen. In diesem Jahr will der Kreml Waffen im Wert von rund fünf Milliarden Dollar exportieren. Das Volumen ist nach Angaben aus dem Generalstab auf neun Milliarden Dollar binnen zwei bis drei Jahren zu steigern.

Präsident Putin ließ Mitte November per Ukas einen neuen Waffenhandelskonzern mit dem Namen Rosoboronexport gründen. Er ist ein Zusammenschluss von zwei bislang konkurrierenden Exportunternehmen, Roswooruschenije und Promexport und soll effektiver als besser die Interessen der russischen Rüstungslobby weltweit vertreten.