Süddeutsche Zeitung, 24.11.2000

Rüstzeit für die Mullahs

Russland möchte wieder Waffen an Iran verkaufen - und bricht dafür ein Geheimabkommen mit den USA

Wenn es um Iran geht, machen die Amerikaner ungern Zugeständnisse: Sie sehen in dem islamischen Gottesstaat ein Regime, das nach Massenvernichtungsmitteln strebt, um den Westen zu bedrohen und Israel zu vernichten. Nun hat Russland angekündigt, es werde in Zukunft wieder Waffen an Teheran verkaufen. Ein Vertreter des russischen Außenministeriums bestätigte dieses Vorhaben, über das auch US-Medien bereits berichtet hatten. Danach will Moskau ein Geheimabkommen mit Washington von 1995 nicht mehr einhalten. In dieser Vereinbarung, die US-Vizepräsident Al Gore mit dem damaligen russischen Premier Wiktor Tschernomyrdin geschlossen hatte, war festgelegt worden, dass Moskau dem Mullah-Regime keine Rüstung verkauft. Russlands Präsident Wladimir Putin indes will den Handel mit Rüstungsgütern zu einem der Hauptgeschäftszweige seines Landes machen. Nach Angaben des Moskauer "Zentrums für die Analyse von Strategie und Technologie" muss Teheran seine Luftwaffe samt der Luftabwehr modernisieren, die Kriegsflotte ausbauen und weiterreichende Boden-Boden-Raketen anschaffen. Das Iran-Geschäft will sich Moskau da nicht entgehen lassen. Verteidigungsminister Igor Sergejew sagte , Russland werde jedoch keine Technik für Massenvernichtungsmittel verkaufen.

Das Gore-Tschernomyrdin-Geheimabkommen war in einer Zeit entstanden, als die Beziehungen zwischen Washington und Moskau noch herzlicher waren. US-Vizepräsident Gore hatte dem russischen Premier damals eine Zusage abgerungen: Moskau werde nur seine alten Rüstungsvereinbarungen mit Teheran erfüllen, neue Geschäfte werde es nicht abschließen. Nachdem diese geheime Absprache im Laufe des US-Wahlkampfes bekannt wurde - mit dem Geheimabkommen-Unterzeichner Gore als Bewerber um das US-Präsidentenamt - sehen die Russen sich angeblich nicht länger daran gebunden.

Iran ist ein alter Kunde der sowjetischen und russischen Rüstungsbetriebe. Vor der Islamischen Revolution hatten die Perser ihre Panzer und Jets noch aus den Vereinigten Staaten bezogen. Als die Mullahs den Schah 1979 stürzten, sperrte Washington die Waffenhilfe. Die Sowjets sprangen ein und machten während des ersten Golfkriegs zwischen Iran und Irak Bombengeschäfte: Sie belieferten beide Seiten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kauften die Mullahs weiter in Moskau ein. So lieferte Russland hundert T-72-Kampfpanzer samt Lizenz für zweihundert weitere und verkaufte drei U-Boote der "Kilo"-Klasse. Die USA drohten Russland nun mit Wirtschaftssanktionen für den Fall, dass Moskau das Gore-Tschernomyrdin-Abkommen nicht mehr einhält. Washington will den islamischen Gottesstaat um jeden Preis militärisch klein halten.

Und unabhängig davon, ob die Bedrohung Israels durch Iran real ist oder nicht: Iran fühlt sich als Regionalmacht am Persischen Golf von nicht freundschaftlich gesinnten Staaten umgeben. Seit der Erfahrung des ersten Golfkriegs sieht Iran im Irak eine Bedrohung. Zudem verfügen finanziell potente Nachbar-Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate über Armeen, die vom Westen mit dem modernsten Gerät beliefert werden. Auch das Verhältnis zu Afghanistan ist schwierig. Insofern hat der Gottesstaat Iran großes Interesse an einer modernen Armee. Sollte Russland die Waffen dafür liefern, riskiert es wohl Streit mit den USA. Tomas Avenarius